Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
Vom Netzwerk:
Irgendjemand kriegt das ab, dachte Eléonore.
    »Wenn es keinen Gott gibt«, sagte er, »wenn es kein Höchstes Wesen gibt, was sollen dann die Leute denken, die ihr ganzes Leben in Not und Elend verbracht haben? Glauben diese Atheisten denn, sie könnten die Armut abschaffen, glauben sie, die Republik könnte zu einem Himmel auf Erden werden?«
    Eléonore wandte sich von ihm ab. Sie wusste, dass sie nicht auf einen Kuss zu hoffen brauchte. »Saint-Just glaubt das schon«, sagte sie.
    »Wir können den Menschen kein Brot garantieren. Wir können keine Gerechtigkeit garantieren. Sollen wir ihnen auch noch die Hoffnung nehmen?«
    »Es klingt so, als wolltest du nur deshalb einen Gott, weil er die Lücken deiner Politik füllen kann.«
    Er starrte sie an. »Vielleicht«, sagte er langsam. »Vielleicht hast du recht. Aber weißt du, Antoine denkt, man könne alles erreichen, indem man es sich einfach wünscht – jeder Mensch erneuert sich selbst, wird ein besserer Mensch, ein Mensch mit größerer vertu , und wenn die Individuen sich verändern, verändert sich auch die Gesellschaft, und das dauert … na ja, vielleicht eine Generation? Das Problem bei der Sache ist nur, dass man das aus den Augen verliert, wenn man sich mit den Details herumplagt, verstehst du, Eléonore? Wenn man sich unentwegt den Kopf darüber zerbricht, wo man Stiefel für die Armee herbekommen könnte, und man denkt, Jeden Tag gelingt mir irgendetwas nicht – dann beginnt das Ganze wie ein einziges großes Scheitern auszusehen.«
    Sie legte die Hand auf seinen Arm. »Es ist kein Scheitern, mein Schatz. Es ist der einzige Erfolg, den es auf der Welt je gegeben hat.«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich kann das im Moment nicht immer so absolut sehen – leider. Manchmal habe ich das Gefühl, das Ziel aus den Augen zu verlieren. Danton versteht das, und er weiß es in Worte zu fassen. Er sagt, ein paar Sachen vermasselt man, und ein paar Sachen kriegt man hin, so ist das eben in der Politik.«
    »Zynisch«, sagte Eléonore.
    »Nein, es ist einfach ein Standpunkt – so wie er es sieht, hat man gewisse Grundprinzipien, die einen leiten, aber aus der konkreten Situation muss man dann jeweils das Beste machen. Saint-Just sieht das anders – seiner Meinung nach sollte man jeglichen Umstand als Chance begreifen, die eigenen Prinzipien zur Anwendung zu bringen. Für ihn ist jede wie auch immer geartete Situation eine Gelegenheit, das große Ganze zu verwirklichen.«
    »Und wo stehst du?«
    »Ach, ich« – er winkte ab – »ich stolpere so vor mich hin. In dieser Frage allerdings weiß ich genau, wo ich stehe. Diese Intoleranz, diese Bigotterie dulde ich nicht. Ich dulde es nicht, dass einfachen Menschen ihr lebenslanger Glaube von irgendwelchen Dilettanten, die überhaupt nicht wissen, was Glaube bedeutet, weggenommen wird. Die bezeichnen die Priester als bigott, aber in Wirklichkeit sind sie selbst bigott – genau die Leute, die den Gottesdienst abschaffen wollen.«
    Du duldest es nicht , dachte sie. Wenn die anderen nicht nachgeben, bedeutet das: vors Tribunal. Sie selbst war nicht geneigt, an Gott zu glauben, jedenfalls nicht an einen gütigen.
    Oben in seinem Zimmer schrieb er einen Brief an Danton. Er las ihn durch, korrigierte ihn sorgfältigst, so wie er alles korrigierte, strich durch, präzisierte, erklärte sich. Er war nicht zufrieden, zerriss den Brief – in kleine Fetzen, denn er war nicht zu wütend, um vorsichtig zu sein – und schrieb einen neuen. Er wollte Danton bitten, nach Paris zu kommen und ihm zu helfen, Hébert zu vernichten. Er wollte zum Ausdruck bringen, dass er Hilfe brauchte, sich aber nicht von oben herab würde behandeln lassen, dass er einen Verbündeten brauchte, sich aber nicht würde dominieren lassen.
    Auch der zweite Entwurf stellte ihn nicht zufrieden. Warum war er nicht auf die Idee gekommen, Camille zu bitten, den Brief für ihn zu schreiben? Camille konnte seinen Standpunkt in schlichte Worte fassen, hatte es früher am Tag bereits getan: »Wir brauchen keine Prozessionen und Rosenkränze und Reliquien. Was wir aber brauchen, wenn die Dinge schlecht stehen, ist die Aussicht auf Trost – und was wir brauchen, wenn es noch schlimmer kommt, ist die Vorstellung, dass es langfristig jemanden gibt, der uns möglicherweise vergeben könnte.«
    Er saß mit gesenktem Kopf da. Man konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen – was würde Pater Bérardier dazu sagen? Letztlich waren sie doch immer noch zwei brave

Weitere Kostenlose Bücher