Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
an, und ihr kastanienrotes Haar, das sie offen trug, glänzte im schwindenden Licht der Nachmittagssonne. Fouquier war effizient. Noch am selben Abend wurde sie auf einen Karren verfrachtet. Der scharfe Wind rötete ihre Wangen, und sie fröstelte in ihrem Musselin. Es wurde schon dunkel, doch sie sah die Maschine, die sich vor dem Himmel abzeichnete, sah die unheimliche Geometrie des Beils.
EIN ZEUGE :
»Robespierre trat langsam vor … Er trug eine Brille, vermutlich, um das Zucken seines fahlen Gesichts zu verbergen. Er sprach langsam und gemessen. Seine Sätze waren so lang, dass man jedes Mal, wenn er innehielt und die Brille anhob, dachte, nun habe er nichts mehr zu sagen, doch nachdem er den Blick langsam und forschend über die gesamte Zuhörerschaft hatte schweifen lassen, rückte er sich die Brille wieder zurecht und fügte seinen ohnehin schon übermäßig langen Sätzen ein paar weitere Nebensätze hinzu.«
Wenn er sich dieser Tage Leuten von hinten näherte, schraken sie schuldbewusst zusammen. Es war, als teilte sich ihnen die Furcht, die er oft verspürte, unbewusst mit. Da er keinen schweren Schritt hatte, fragte er sich, wie er sie sonst vorwarnen könnte – husten, gegen die Möbel rempeln? Er wusste, dass sie glaubten, er stünde da und lauschte, bevor sie ihn bemerkten, und all ihre Selbstzweifel und unausgegorenen aufrührerischen Gedanken drangen an die Oberfläche.
Bei den Sitzungen des Wohlfahrtsausschusses saß er oft schweigend da; er wollte den anderen seine Meinung nicht aufdrängen, doch er wusste, dass sie ihn, wenn er sich eines Kommentars enthielt, verdächtigten, sie zu beobachten, sich Notizen zu machen. Und es stimmte, er nahm von sehr vielem Notiz. Wenn er seine Meinung äußerte, widersprach ihm Carnot manchmal kühl, und Robert Lindet schaute sehr ernst drein, als hätte er Vorbehalte. Er fuhr Carnot dann über den Mund, brachte ihn zum Schweigen. Was bildete sich der Mann ein, meinte er etwa, irgendein Vorrecht zu besitzen, nur weil sie sich von früher kannten? Seine Kollegen wechselten Blicke. Manchmal zog er ein paar Blätter aus Carnots Aktenmappe, Beschwerden von Offizieren, deren Soldaten Durchfall oder keine Schuhe hatten oder deren Pferde verhungerten. Er las sie rasch, breitete sie dann auf dem Tisch aus wie ein Spieler, der sein Blatt ausspielt, und sah Carnot in die Augen: Ich frage mich, sagte er, ob Sie meinen, das Beste aus Ihrem Amt zu machen? Carnot saugte an seiner Unterlippe.
Wenn seine Kollegen sprachen, saß Robespierre mit zur Decke gewandtem Gesicht da, das schmale Kinn auf Daumen und Zeigefinger gestützt. Sie konnten ihm über Tagespolitik, gute und schlechte Presse, den Umgang mit dem Konvent und das Erlangen von Mehrheiten nichts Neues erzählen. Er erinnerte sich an seine Schulzeit, als er im Schatten extravaganterer Persönlichkeiten gebüffelt hatte; er erinnerte sich an Arras, wo er von seiner Verwandtschaft mit ihren Ansprüchen schikaniert, von den örtlichen Richtern gedeckelt, vom gesellschaftlichen Leben der Anwaltschaft ausgeschlossen worden war.
Er ist nicht wie Danton, er will nicht zurück nach Hause. Sein Zuhause ist hier: im mitternächtlichen Lampenschein, in den verregneten Straßen. Aber manchmal wenn die anderen reden, ist er unversehens für einen Moment ganz woanders; dann denkt er an die graugrünen Wiesen, die ruhigen Plätze in der Stadt, die in Reihen stehenden Pappeln, die sich im Herbstwind biegen.
20. BRUMAIRE : In dem öffentlichen Gebäude, das früher unter dem Namen Notre Dame bekannt war, wird ein »Fest zu Ehren der Vernunft« veranstaltet. Die religiösen Verzierungen, wie die Leute es gern nennen, sind entfernt worden, und im Mittelschiff ist ein griechischer Tempel aus Pappe errichtet worden. Eine Schauspielerin der Oper verkörpert die Göttin der Vernunft und wird inthronisiert, während die Menge Ça ira singt.
Unter dem Druck der Hébertisten erscheint der Bischof von Paris vor dem Konvent und bekennt sich zu einem militanten Atheismus. Der Abgeordnete Julien, vormals protestantischer Pastor, ergreift die Gelegenheit beim Schopf und tut es ihm gleich.
In den Worten des Abgeordneten Clootz (eines Radikalen und Ausländers): »Ein religiöser Mann ist eine verkommene Bestie. Er ähnelt jenen Tieren, die zum Nutzen von Kaufleuten und Metzgern um ihrer Wolle und ihres Fleisches willen gehalten werden.«
Robespierre kam aus dem Konvent nach Hause. Seine Lippen waren blass, sein Blick kalt vor Wut.
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