Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
fast nichts. Ich habe die Augen aufgerissen und gesagt: Unlauter? Ich? Mein Stottern war an dem Tag sehr ausgeprägt, und ich habe im Laufe der Unterhaltung sehr oft Max’ Namen fallen lassen. Vadier hat höllische Angst davor, ihn zu verärgern. Er wusste, dass ich mich bei Max beschweren würde, wenn er zu viel Druck auf mich ausübt.«
»Gut gemacht«, sagte Danton grimmig. Aber er sah, in welchen Schwierigkeiten er steckte: Es ging nicht nur um die Frage, was er mit Fabre machen würde, sondern auch um das größere Problem von Camilles Gewissen.
»Ich lüge Robespierre an«, sagte Camille. »Jedenfalls indirekt. Und das gefällt mir nicht. Für das, was ich als Nächstes vorhabe, brauche ich festen Boden unter den Füßen.«
»Und das wäre?«
»Es gibt leider noch schlechtere Nachrichten. Hébert hat in Umlauf gebracht, Lacroix habe letztes Jahr, als ihr zusammen als Kommissare in Belgien wart, in die eigene Tasche gearbeitet. Er behauptet, Beweise dafür zu haben. Außerdem hat er die Jakobiner überreden können, beim Nationalkonvent zu beantragen, dass Lacroix und Legendre von ihrer Mission in der Normandie abberufen werden.«
»Was soll Legendre denn getan haben?«
»Er ist dein Freund, oder nicht? Ich bin zu Robespierre gegangen und habe gesagt, wir müssen den Terror beenden.«
»Das hast du gesagt?«
»Er hat gesagt, da stimme ich dir vollkommen zu. Und das tut er auch, er hasst das Töten, ich bin derjenige, der so lange gebraucht hat, um das zu erkennen … Ich habe also gesagt, Hébert ist zu mächtig. Er sitzt im Kriegsministerium und in der Kommune fest im Sattel, er lässt seine Zeitung bei den Truppen zirkulieren – und Hébert wird nicht bereit sein, den Terror zu beenden. Das hat ihn in seinem Stolz getroffen, und er hat gesagt: Wenn ich den Terror beenden will, tue ich es, auch wenn ich vorher Hébert den Kopf abschneiden muss. Na gut, habe ich gesagt, nimm dir vierundzwanzig Stunden Zeit und denk darüber nach, und dann entscheiden wir, wie wir gegen ihn vorgehen. Ich bin nach Hause gekommen und habe gleich ein Pamphlet gegen Hébert entworfen.«
»Du wirst es nie lernen, oder?«
»Bitte?«
»Gerade hast du erst die Gironde beweint. Deinen Anteil an ihrem Sturz.«
»Aber hier geht es um Hébert«, sagte Camille verständnislos. »Bitte bring mich nicht durcheinander. Hébert steht der Beendigung des Terrors im Weg. Wenn wir ihn umbringen, werden wir niemand anderen mehr umbringen müssen. Na ja, Robespierre hat in diesen vierundzwanzig Stunden jedenfalls angefangen zu zaudern. Er wirkte ganz nervös und unentschlossen. Als ich wieder zu ihm gegangen bin, hat er gesagt: ›Hébert ist sehr mächtig, aber in einigen Dingen hat er auch recht, und wenn wir ihn unter Kontrolle hätten, könnte er uns sehr nützlich sein.‹« Was führt dieser doppelzüngige Mistkerl im Schilde?, dachte Danton. »›Vielleicht wäre es besser‹, hat er gesagt, ›wenn wir einen Kompromiss fänden. Es darf kein weiteres unnötiges Blutvergießen geben.‹ Da habe ich mir ausnahmsweise mal Saint-Just herbeigewünscht. Ich hatte wirklich geglaubt, dass er es tun würde, weißt du, und dann –« Er machte eine aufgebrachte Geste. »Saint-Just hätte ihn vielleicht zum Handeln bewegen können.«
»Zum Handeln?«, wiederholte Danton. »Der wird nicht handeln. Davon versteht er nichts. Unnötiges Blutvergießen, meine Güte. Gewalt, ach wie bedauerlich. Er macht mich fertig mit seiner Rechtschaffenheit. Dieser kleine Scheißer könnte doch nicht mal ein Ei köpfen.«
»O nein«, sagte Camille. »Bitte nicht – bitte.«
»Was will er also machen?«
»Er lässt sich nicht auf eine Meinung festnageln. Geh zu ihm. Hör dir einfach an, was er sagt. Ohne dagegenzuhalten.«
Danton dachte: So haben die früher über mich geredet. Er zog Camille an sich. Sein Körper kam ihm seltsam vor, irgendwie gefährdet, er schien aus lauter Schatten und spitzen Winkeln zu bestehen. Camille vergrub das Gesicht an seiner Schulter und sagte: »Du bist wirklich ein erschreckend zynischer Mensch.«
Einen Moment lang schwiegen sie beide. Dann löste sich Camille von ihm und schaute zu ihm auf. Seine Hände ruhten leicht auf Dantons Schultern. »Ist dir jemals der Gedanke gekommen, dass Max dieselbe grundlegende Verachtung für dich empfindet wie du für ihn?«
»Verachtung?«
»Mit diesem Gefühl ist er immer schnell bei der Hand.«
»Nein, der Gedanke ist mir noch nicht gekommen.«
»Nun, nicht alle Menschen auf dieser
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