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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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Fähigen sind ins Ausland geflohen oder in Lyon oder der Vendée ums Leben gekommen. Die noch übrig sind, verdienen deine Aufmerksamkeit nicht. Glaub mir – würdest du einen Gnadenausschuss einrichten, stünde der Friede auf festeren Füßen, und Europa würde in die Knie gezwungen.«
    »Hast du genug gelesen?«, fragte er.
    »Ja. Sie versuchen, dich zum Handeln zu zwingen.« Sie sah ihn an. »Da steckt vermutlich Danton dahinter?«
    Robespierre sagte nichts, jedenfalls nicht gleich. Als er dann sprach, im Flüsterton, ging er nicht auf ihre Frage ein. »Weißt du, als wir noch Kinder waren, da habe ich zu Camille gesagt: Jetzt ist alles gut, ich kümmere mich um dich. Du hättest uns sehen sollen, Eléonore – ich glaube, wir hätten dir leid getan. Ich weiß nicht, was ohne mich aus Camille geworden wäre.« Er vergrub das Gesicht in seinen Händen. »Oder ohne ihn aus mir.«
    »Aber jetzt seid ihr keine Kinder mehr«, sagte sie leise. »Und die Zuneigung, von der du sprichst, besteht nicht mehr. Er ist zu Danton übergelaufen.«
    Er blickte auf. Sein Gesicht ist durchsichtig, dachte sie, und er hätte gern, dass die Welt genauso durchsichtig ist. »Danton ist nicht mein Feind«, sagte er. »Er ist ein Patriot, und ich habe meinen Ruf für ihn aufs Spiel gesetzt. Aber was hat er in den letzten vier Wochen getan? Ein paar Reden hat er gehalten. Groß tönende Worte, durch die er im Blickpunkt der Öffentlichkeit bleibt, die aber nichts aussagen. Er sieht sich als bedeutenden Staatsmann. Er hat nichts riskiert. Er hat meinen armen Camille in den Ofen geworfen, und jetzt stehen er und seine Freunde davor und wärmen sich die Hände.«
    »Reg dich nicht auf, das hilft auch nicht weiter.« Sie wandte das Gesicht ab und studierte wieder das Pamphlet. »Er impliziert, dass der Ausschuss seine Macht missbraucht hat. Offenbar betrachten Danton und seine Freunde sich als Alternative zur Regierung.«
    »Ja.« Er lächelte verhalten. »Danton hat mir schon mal einen Posten angeboten. Das würde er zweifellos wieder tun. Die gehen davon aus, dass ich mit ihnen kooperiere, weißt du.«
    »Dass du mit ihnen kooperierst? Mit dieser Bande von Schwindlern? Das wäre etwa so, als würdest du mit Briganten kooperieren, die dich festhalten, um ein Lösegeld zu erpressen. Die wollen doch nur deinen Namen benutzen, deinen guten Ruf als ehrlicher Mann.«
    »Soll ich dir mal was sagen?«, sagte er. »Ich wünschte, Marat wäre noch am Leben. Wie weit ist es mit mir gekommen, dass ich mir das wünsche! Aber auf ihn hätte Camille gehört.«
    »Das ist Ketzerei«, sagte Eléonore, den Kopf über das Blatt gebeugt. Sie las mit einer gequält wirkenden Langsamkeit, schien jedes Wort abzuwägen. »Die Jakobiner werden ihn ausschließen.«
    »Das werde ich verhindern.«
    »Wie bitte?«
    »Ich sagte, das werde ich verhindern.«
    Sie wedelte die Flugschrift in seine Richtung. »Dafür werden sie dich verantwortlich machen. Glaubst du wirklich, du kannst ihn schützen?«
    »Ihn schützen? Mein Gott – vor dieser Geschichte wäre ich jederzeit für ihn in den Tod gegangen. Aber jetzt habe ich das Gefühl – na ja, vielleicht habe ich eine Pflicht, am Leben zu bleiben?«
    »Eine Pflicht wem gegenüber?«
    »Gegenüber dem Volk. Für den Fall, dass alles noch schlimmer kommt.«
    »Das sehe ich auch so. Du hast die Pflicht, am Leben zu bleiben. Am Leben und an der Macht.«
    Er drehte den Kopf weg. »Wie leicht dir solche Sätze über die Lippen gehen, Eléonore. Als wärst du mit ihnen groß geworden. Collot ist aus Lyon zurück, wusstest du das? Er hat sein Werk , wie er es nennt, vollendet. Sein Pfad der Rechtschaffenheit ist klar umrissen, breit und gerade. Es ist so einfach, ein guter Jakobiner zu sein. Collot hat keine Zweifel, keine Skrupel im Leib, und ob er irgendetwas im Kopf hat, ist fraglich. Den Terror beenden? Er denkt, dass wir noch nicht einmal richtig angefangen haben.«
    »Nächste Woche wird Saint-Just hier sein. Er wird nichts über deine Schulzeit hören wollen, Max. Er wird keine Ausflüchte akzeptieren.«
    Robespierre hob das Kinn, in blindem Stolz auf den Freund. »Er wird keine Ausflüchte zu hören bekommen. Ich kenne Camille. Er ist stärker, als man denkt – nicht sichtlich, nicht augenscheinlich, nein, aber glaub mir, ich kenne ihn. Er besitzt eine Art unerschütterliche Eitelkeit – und warum auch nicht? Sie hat ihren Ursprung im 12. Juli, in der Zeit vor der Bastille. Er weiß genau, was er damals getan hat,

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