Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
gesprochen.«
»Natürlich. Der Club war gerührt, geschmeichelt. Er hatte ihnen einen kleinen Einblick in sein Privatleben gewährt – ihr wisst schon, ein anrührender Beleg dafür, dass auch er ein Mensch ist.«
»Was in aller Welt meinst du damit?«, fragte Claude.
»Na ja, ich bin zu meiner ursprünglichen Überzeugung zurückgekehrt. Er ist ganz offensichtlich Jesus Christus. Er hat sich sogar bereitgefunden, sich von einem Tischler adoptieren zu lassen. Ich frage mich, was er bei der nächsten Versammlung tun wird, wenn man meinen Ausschluss fordern wird.«
»Solange Robespierre an der Macht ist, kann dir nichts zustoßen«, sagte Claude. »Das ist unmöglich. Komm, wirklich – das ist unmöglich.«
»Du meinst, ich stehe unter Schutz. Aber es ist lästig, beschützt zu werden.«
»Schluss jetzt«, sagte Danton. Er stellte sein Glas ab, beugte sich vor. Ganz nüchtern, auch wenn das wenige Minuten zuvor noch anders gewirkt hatte. »Ihr kennt meine politische Linie, ihr wisst, was ich zu erreichen versuche. Die Pamphlete haben ihren Zweck erfüllt – jetzt ist es deine Aufgabe, Robespierre bei Laune zu halten und ansonsten Ruhe zu geben. Es ist nicht nötig, irgendein Risiko einzugehen. Innerhalb der nächsten zwei Monate wird sich der moderate Widerstand um mich herum kristallisieren. Ich muss einfach nur da sein.«
»In meinem Fall ist das aber problematisch«, murmelte Camille.
»Meinst du, ich kann meine Anhänger nicht schützen?«
»Ich bin es leid, beschützt zu werden!«, schrie Camille ihn an. »Ich bin es leid, dich zufriedenzustellen und Robespierre zu besänftigen und zwischen euch beiden hin- und herzurennen, um zu vermitteln und eure maßlosen Egos, eure Arroganz, euren monströsen Eigendünkel zu füttern. Mir reicht’s.«
»Wenn das so ist«, sagte Danton, »ist dein Nutzen für die Zukunft sehr begrenzt. Wirklich sehr begrenzt.«
Der Gerechtigkeitsausschuss, den Robespierre vorgeschlagen hatte, fiel am nächsten Tag Billaud-Varennes revolutionärer Gründlichkeit zum Opfer. Er erklärte dem Ausschuss in Robespierres Anwesenheit klipp und klar, das sei von Anfang an eine dumme Idee gewesen.
In dieser Nacht konnte Robespierre nicht schlafen. Das war keine Niederlage gewesen, sondern eine Demütigung, worüber er da brütete. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass man sich jemals über einen ausdrücklichen Wunsch von ihm hinweggesetzt hätte; oder vielmehr, er konnte sich schon daran erinnern, aber nur ganz vage, als wäre es einer früheren Inkarnation seiner selbst passiert. Die Kerze von Arras hatte eine andere Welt beleuchtet.
Er saß oben im Haus allein am Fenster, betrachtete die schwarzen Konturen der Dächer und die Sterne dazwischen. Er hätte gern gebetet, doch keine Formulierung, die ihm in den Sinn kam, schien geeignet, die mit blinder Zielstrebigkeit agierende Gottheit, die sein Leben in die Hand genommen hatte, zu bewegen oder auch nur zu erreichen. Dreimal stand er auf, um sich zu vergewissern, dass die Tür verschlossen war, der Riegel vorgeschoben, der Schlüssel im Schloss umgedreht. Die Dunkelheit waberte, verblasste, die Straße draußen schien von Schatten bevölkert. Unter der Herrschaft von Kaiser Tiberius … Die Geister Verstorbener baten mit tönernen Gesichtern um Einlass, den verdeckten Wildtiergeruch, die langen schleichenden Schatten von Zirkustieren im Gefolge.
Am nächsten Tag ging Camille zum Haus der Duplays. Er erkundigte sich nach Eléonores Gesundheit und nach ihrer Arbeit. »Lucile hat gesagt, sie würde Sie gern mal besuchen, aber sie weiß nicht, wann es Ihnen passen würde, wegen des Zeichenunterrichts. Kommen Sie doch mal bei uns vorbei.«
»Das mache ich«, sagte sie ohne Überzeugung. »Wie geht es dem Kleinen?«
»Oh, dem geht es prima. Ausgezeichnet.«
»Er ähnelt Ihnen, Camille. Hat viel von Ihnen.«
»Lieb, dass Sie das sagen, Cornélia. Sie sind in diesen anderthalb Jahren die Erste, von der ich das höre. Darf ich hochgehen?«
»Er ist nicht zu Hause.«
»Ach, Cornélia. Sie wissen doch, dass er zu Hause ist.«
»Er hat zu tun.«
»Sollen Sie niemanden zu ihm lassen oder nur mich nicht?«
»Hören Sie, er braucht Zeit, um seine Gedanken zu ordnen. Er hat letzte Nacht kein Auge zugetan. Ich mache mir Sorgen um ihn.«
»Ist er sehr böse auf mich?«
»Nein, er ist nicht böse. Ich glaube, er ist … erschüttert. Erschüttert, dass Sie ihn für die Gewalt verantwortlich machen, dass Sie ihn öffentlich
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