Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
Zimmer sei leer. Als Robespierre den Kopf wandte, erschrak sie. Sein Gesicht sah im Dunkeln weiß aus. »Gehst du nicht in den Ausschuss?«, fragte sie. Er drehte den Kopf wieder zur Wand. »Soll ich die Lampe anzünden?«, fragte sie. »Bitte rede mit mir. So schlimm kann es doch nicht sein.«
Sie stellte sich hinter seinen Stuhl und ließ eine Hand auf seine Schulter gleiten. Sie spürte, wie er erstarrte. »Fass mich nicht an.«
Sie nahm die Hand wieder weg. »Was habe ich denn getan?« Sie wartete auf eine Antwort. »Sei nicht kindisch. Du kannst doch nicht hier in der Kälte und Dunkelheit sitzen bleiben.«
Keine Antwort. Sie ging rasch hinaus, ließ die Zimmertür angelehnt. Im nächsten Moment war sie mit einer dünnen Wachskerze wieder zurück, die sie an das Anzündholz und die Scheite im Kamin hielt. Sie kniete sich hin und hegte die kleinen Flämmchen; ihr braunes Haar glitt ihr über die Schulter.
»Ich will kein Licht«, sagte er.
Sie beugte sich vor, legte einen weiteren Span dazu, fachte die Flammen an. »Ich weiß, dass du es ausgehen lassen wirst, wenn ich nicht achtgebe«, sagte sie. »Das ist doch immer so. Ich komme gerade vom Zeichenunterricht. Bürger David hat meine Arbeiten heute gelobt. Möchtest du sie vielleicht sehen? Ich kann rasch hinunterlaufen und meine Mappe holen.« Immer noch auf den Knien, die Hände auf den Oberschenkeln, schaute sie zu ihm hoch.
»Steh auf«, sagte er. »Du bist doch keine Bedienstete.«
»Nein?« Ihre Stimme war kühl. »Was bin ich denn? Es würde gegen deine Prinzipien verstoßen, mit einer Bediensteten so zu sprechen, wie du mit mir sprichst.«
»Vor fünf Tagen«, sagte er, »habe ich dem Konvent vorgeschlagen, dass wir einen Gerechtigkeitsausschuss bilden, der die Urteile des Tribunals überprüft und die Fälle der auf Verdacht Inhaftierten untersucht. Ich dachte, so etwas würde jetzt gebraucht – offenbar nicht. Ich habe gerade die vierte Ausgabe des Vieux Cordelier gelesen. Hier.« Er schob ihr die Flugschrift über den Schreibtisch zu. »Lies.«
»In diesem Licht kann ich das nicht.« Sie zündete die Kerzen an und hob eine hoch, um ihm ins Gesicht zu schauen. »Deine Augen sind rot. Du hast geweint. Ich glaube, als du in der Presse kritisiert wurdest, hast du nicht geweint. Ich dachte, das läge hinter dir.«
»Es ist nicht die Kritik«, sagte er. »Nicht die Kritik ist das Problem, sondern die Forderungen, die an mich gerichtet werden. Ich werde namentlich angesprochen. Schau.« Er deutete auf die entsprechende Stelle. »War ich nicht so barmherzig, wie man nur irgend sein kann, Eléonore? Fünfundsiebzig Anhänger Brissots sitzen im Gefängnis. Ich habe in den Ausschüssen und im Konvent um das Leben dieser Männer gekämpft. Aber das reicht Camille nicht – nicht einmal ansatzweise. Er will mich in eine Art – in eine Art Stierkampfarena zwingen. Hier, lies.«
Sie griff nach dem Pamphlet, zog sich einen Stuhl an den Schreibtisch, um im Licht lesen zu können. »Robespierre, du bist mein alter Schulkamerad, und du erinnerst dich zweifellos an das, was Geschichte und Philosophie uns gelehrt haben: Die Liebe ist stärker und beständiger als die Angst.« Die Liebe ist stärker und beständiger als die Angst; sie blickte kurz zu ihm auf, dann wieder auf das Blatt. »Mit deinem Antrag in der Sitzung vom 30. Frimaire bist du diesem Gedanken sehr nah gekommen. Vorgeschlagen wurde ein Gerechtigkeits ausschuss. Aber warum sollte Gnade in der Republik als Verbrechen gelten?«
Eléonore schaute auf. »Die Sprache«, sagte Robespierre. »Sie ist so klar, keine Schnörkel, keine Effekthascherei, kein Sprachwitz. Er meint jedes einzelne Wort. Früher hat er nur jedes zweite Wort gemeint, weißt du? Das war sein Stil.«
»Lass die 200000 inhaftierten Bürger frei, die du als ›Verdächtige‹ bezeichnest. In der Menschenrechtserklärung ist eine Festnahme auf Verdacht nicht vorgesehen.
Du scheinst entschlossen zu sein, die Opposition mit Hilfe der Guillotine auszulöschen. Aber das ist ein sinnloses Unterfangen. Wenn du einen Gegner auf dem Schafott vernichtest, machst du dir unter seinen Freunden und Verwandten zehn neue Feinde. Sieh dir an, was für Menschen du hinter Gitter gebracht hast – Frauen, alte Männer, übellaunige Egoisten, das Strandgut der Revolution. Glaubst du wirklich, dass sie eine Gefahr darstellen? Die einzigen Feinde, die in eurer Mitte noch existieren, sind zu krank oder zu feige, um zu kämpfen; die Tapferen und
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