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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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werden, die Cousine heiraten, gedeihen wie die Made im Speck.
    Das Kind bekam eine ganze Reihe Namen, weil sich die Paten nicht hatten einigen können. Als Jean-Nicolas einen eigenen Namenswunsch äußerte, schloss sich die Familie zusammen: Du kannst gern Lucien zu ihm sagen, aber wir werden ihn Camille nennen.
    Es kam Desmoulins vor, als wäre er mit der Geburt seines ersten Kindes zu einem Mann geworden, der sich durch einen zähen Sumpf kämpfte, ohne dass irgendwo Rettung in Sicht wäre. Er war durchaus willens, Verantwortung zu übernehmen, doch war er von den Wirrungen des Lebens schlicht überwältigt, gelähmt durch die Gewissheit, dass er in keiner denkbaren Situation etwas Konstruktives tun konnte. Insbesondere das Kind stellte ein unlösbares Problem dar. Es schien sich den Regeln der Vernunft völlig zu entziehen. Er lächelte es an, und es lernte das zu erwidern, doch nicht mit dem freundlichen, zahnlosen Lächeln der meisten Säuglinge, sondern, so schien ihm, mit einer Art verhaltenem Amüsement. Auch hatte er zu wissen geglaubt, dass Säuglinge Objekte noch nicht richtig mit den Augen fixieren konnten, doch dieser – sicher bildete er sich das nur ein – schien ihn kühl zu mustern. Das bereitete ihm Unbehagen. Insgeheim befürchtete er, dass sich das Kind eines Tages in Gesellschaft aufsetzen und sprechen würde; dass es seinen Blick suchen, ihn abschätzend betrachten und dann sagen würde: »Du Arschloch.«
    Sein Sohn steht jetzt auf der Fensterbank, beugt sich hinaus und kommentiert das Kommen und Gehen draußen auf dem Platz. Da ist der Curé, und da ist M. Saulce. Jetzt kommt eine Ratte. Und jetzt kommt der Hund von M. Saulce – o je, die arme Ratte.
    »Camille«, sagt er. »Geh da runter. Wenn du aufs Pflaster fällst und dir einen Hirnschaden zuziehst, wirst du nie Ratsherr. Das heißt – wer weiß. Es würde ja ohnehin keiner merken.«
    Während er die Beträge der Handwerkerrechnungen addiert, lehnt sich sein Sohn in der Hoffnung auf weitere Gemetzel so weit wie möglich aus dem Fenster. Der Curé geht abermals über den Platz, der Hund schläft in der Sonne ein. Ein Junge kommt mit Halsband und Kette, legt sie dem Hund an und führt ihn davon. Schließlich blickt Jean-Nicolas auf. »Wenn ich das Dach bezahlt habe«, sagt er, »werde ich pleite sein. Hörst du mir zu? Da deine Onkel weiterhin dafür sorgen, dass nur der Bodensatz der hiesigen Rechtsfälle zu mir gelangt, muss ich für unsere monatlichen Ausgaben die Mitgift deiner Mutter angreifen, die eigentlich die Kosten deiner Ausbildung decken sollte. Um die Mädchen mache ich mir keine Sorgen, die können Handarbeiten verrichten, und vielleicht wird man sie einfach ihres Charmes wegen heiraten. Aber du wirst kaum auf diese Weise deinen Weg machen können.«
    »Jetzt kommt wieder der Hund«, sagt sein Sohn.
    »Tu, was ich dir sage, und geh vom Fenster weg. Und sei nicht kindisch.«
    »Warum denn nicht?«, fragt Camille. »Ich bin doch ein Kind.«
    Der Vater geht zu Camille, löst dessen Finger vom Fensterrahmen und schwingt ihn in die Luft. Die Augen des Jungen weiten sich vor Staunen, als er von dieser größeren Kraft davongetragen wird. Alles erstaunt ihn: die Tiraden seines Vaters, die Pünktchen auf einer Eierschale, Damenhüte, Enten auf dem Teich.
    Jean-Nicolas trägt ihn durchs Zimmer. Mit dreißig, denkt er, wirst du an diesem Schreibpult sitzen, dich von deinen Geschäftsbüchern abwenden, um dich dem läppischen Auftrag zu widmen, mit dem du gerade befasst bist, und vielleicht zum zehnten Mal in deiner Laufbahn einen Hypothekenbrief für das Herrenhaus in Wiège aufsetzen, und dann wird dir dein erstaunter Gesichtsausdruck vergehen. Wenn du vierzig bist, allmählich ergraust und fast krank vor Sorge um deinen Ältesten bist, werde ich siebzig sein. Ich werde in der Sonne sitzen und zusehen, wie die Birnen an der Wand reifen, und M. Saulce und der Curé werden vorbeikommen und zum Gruß an ihren Hut tippen.
    Was denken wir über Väter? Wichtig oder nicht? Rousseau sieht es folgendermaßen:
Die älteste und einzig natürliche Form aller Gesellschaften ist die Familie; obgleich die Kinder nur so lange mit dem Vater verbunden bleiben, wie sie seiner zu ihrer Erhaltung bedürfen … Demnach ist die Familie, wenn man will, das erste Muster der politischen Gesellschaften. Der Herrscher ist das Abbild des Vaters, das Volk ist das Abbild der Kinder.
    Hier also noch einige Familiengeschichten.
    M. Danton hatte vier Töchter

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