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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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schnell genug über die Lippen. »Mein Vetter de Viefville hat doch tatsächlich in aller Öffentlichkeit mit mir gesprochen, er musste unbedingt jemandem erzählen, was passiert ist. Also: Der König ist reingekommen und hat dann wie üblich mehr oder weniger im Halbschlaf dagehangen. Der Siegelbewahrer hat das Wort ergriffen und gesagt, dass die Generalstände einberufen werden, aber erst 1792, was ja noch eine halbe Ewigkeit ist –«
    »Das haben wir der Königin zu verdanken.«
    »Schsch.«
    »Daraufhin gab es Proteste, und dann wurde über die Edikte diskutiert, die der König registrieren lassen wollte. Kurz vor der Abstimmung ist der Siegelbewahrer zum König gegangen und hat ein paar vertrauliche Worte mit ihm gewechselt, woraufhin der König die Diskussion einfach abgeschnitten und erklärt hat, die Edikte müssten registriert werden. Er hat es einfach angeordnet.«
    »Aber wie kann er –«
    »Schsch.«
    Camille ließ den Blick über seine Zuhörer schweifen. Ihm war bewusst, dass sich gerade ein bislang einmaliges Ereignis wiederholte: Sein Stottern war verschwunden. »Dann ist Orléans aufgestanden, alle haben sich nach ihm umgedreht und gegafft, er war kreidebleich, erzählt de Viefville. Und der Herzog sagte: ›Das können Sie nicht tun. Das ist rechtswidrig.‹ Worauf der König ganz nervös wurde und rief: ›Das ist rechtmäßig – weil ich es will!‹«
    Camille verstummte. Sogleich erhob sich ein Stimmengewirr – Protest, gespieltes Entsetzen, Spekulation. Er verspürte umgehend den furchtbaren Drang, seine eigene Argumentation zu widerlegen; vielleicht war er doch zu sehr Rechtsanwalt – oder vielleicht, überlegte er, bin ich einfach zu ehrlich? »Hören Sie mir zu, bitte! De Viefville hat behauptet , dass der König das alles gesagt hat. Aber ich weiß nicht, ob wir das wirklich glauben dürfen – kommt es nicht ein bisschen zu gelegen? Ich meine, wenn jemand eine Verfassungskrise anzetteln wollte, würde er dann nicht hoffen, dass der König genau so etwas sagt? Und eigentlich … Er ist ja kein schlechter Kerl, der König … Wahrscheinlich hat er das alles gar nicht gesagt, sondern nur einen kläglichen Witz gerissen.«
    Auch d’Anton nahm es bewusst wahr: Camille stotterte nicht, und er sprach in einer Weise zu seinem dicht gedrängten Publikum, die jedem das Gefühl gab, er spreche nur mit ihm. Jemand sagte: »Nun reden Sie schon weiter!«
    »Die Edikte wurden registriert. Der König ging. Sobald er draußen war, wurden die Edikte annulliert und gestrichen. Zwei Mitglieder des Parlaments wurden kraft eines lettre de cachet festgenommen. Der Herzog von Orléans wurde auf sein Anwesen in Villers-Cotterêts verbannt. Ach ja – und mich hat mein geschätzter Vetter de Viefville zum Diner eingeladen.«
    Der Herbst verstrich. Wenn das Dach einstürzt, sagte Annette, setzt man sich ja auch nicht darunter, während die Bruchstücke herabfallen, und jammert, warum nur, warum?, sondern man sucht im Schutt nach den verbliebenen Wertsachen. Die Aussicht auf Camille, auf das, was er ihr und ihrer Tochter antun würde, war zu grausig, als dass sie sich dagegen hätte wehren können. Annette nahm sie hin, so wie Menschen sich mit dem langen Verlauf einer unheilbaren Krankheit abfinden; manchmal wünschte sie sich den Tod herbei.

5. Karrierewechsel
    (1788)
    Keine Veränderung. Nichts Neues. Die dumpfe Krisenstimmung hält an. Viel schlimmer, denkt man, kann es nicht werden, ohne dass irgendein Damm bricht. Aber es bricht keiner. Nur der Zahn der Zeit nagt, das Staatsschiff sinkt, das Rad der Geschichte dreht sich, die Uhr tickt, und der Punkt, ab dem es kein Zurück mehr gibt, rückt immer näher. Konjunktur hat lediglich der Gemeinplatz.
    In Arras geht Maximilien de Robespierre mutlos und verbissen ins neue Jahr. Er liegt mit der örtlichen Justiz über Kreuz. Er hat kein Geld. Er hat den Literaturzirkel aufgegeben, weil er die Poesie zunehmend als nebensächlich empfindet. Geselligkeit meidet er soweit möglich, weil er genug hat von den Selbstgefälligen, den Postenjägern und Schönrednern – womit das Gros der guten Gesellschaft von Arras beschrieben wäre. Immer öfter wendet sich die Konversation dem Tagesgeschehen zu, und er bekämpft seinen Drang, gute Miene dazu zu machen, unterdrückt seine konziliante Ader mit aller Macht. Jede Meinungsverschiedenheit im Alltag wird dadurch zum Affront, jedes Zugeständnis vor Gericht zur Niederlage. Duelle sind gesetzlich verboten, doch bei

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