Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
Kleider des Mannes hingen in Fetzen, und sein Gesicht war schwarz. D’Anton konnte nicht sehen, wo er verletzt war, doch sein Gesicht sah unter dem Schwarz wie betäubt aus, und seine Augen waren glasig vor Schmerz oder Schock.
D’Anton sagte: »Camille.«
Camille schaute seitlich auf seine Schuhe, dann wanderte sein Blick nach oben. Er war kreidebleich. Er legte das Blatt weg, gab den Versuch auf, den Auslassungen des Verletzten zu folgen. Er deutete auf einen anderen Mann, der ein paar Meter entfernt mit verschränkten Armen und gesenktem Blick dastand, die kurzen Beine leicht gespreizt auf den Boden gepflanzt. Tonlos, ausdruckslos sagte Camille: »Siehst du den? Das ist Marat.«
D’Anton blickte nicht auf. Jemand deutete auf Camille und sagte: »Die Französischen Garden haben ihn zu Boden geworfen und ihm in die Rippen getreten.«
Camille lächelte kläglich. »Muss ihnen wohl im Weg gewesen sein.«
D’Anton versuchte, ihn auf die Beine zu bringen. Camille sagte: »Nein, ich kann nicht, lass mich.«
D’Anton nahm ihn mit nach Hause zu Gabrielle. Er schlief auf ihrem Bett ein; richtig krank sah er aus.
»Immerhin«, bemerkte Gabrielle später am Abend. »Wenn sie dir in die Rippen getreten hätten, wären ihre Stiefel einfach abgeprallt.«
»Ich habe dir doch gesagt, ich war drinnen, in einem der Büros. Camille war draußen im Tumult. Ich mache diese albernen Spielchen nicht mit.«
»Trotzdem beunruhigt mich das alles.«
»Es war nur ein Geplänkel. Ein paar Soldaten sind in Panik geraten. Niemand weiß, worum es überhaupt ging.«
Gabrielle war nur schwer zu trösten. Sie hatte Pläne gemacht, Beschlüsse gefasst, für ihren Haushalt, ihre Kinder, die große Karriere ihres Mannes. Sie fürchtete jeglichen Aufruhr, ob gesellschaftlich oder emotional – fürchtete, er könnte sich heimlich von der Straße in ihr Haus in ihr Herz schleichen.
Wenn sie Freunde zum Essen eingeladen hatten, sprach ihr Mann in vertrautem Ton von Mitgliedern der Regierung, als wäre er persönlich mit ihnen bekannt. Wenn er von der Zukunft sprach, fügte er immer hinzu: »Sofern die derzeitigen Verhältnisse bestehen bleiben.«
»Weißt du«, sagte er, »ich habe in letzter Zeit – das habe ich dir, glaube ich, schon erzählt – viel Arbeit von M. Barentin bekommen, dem Präsidenten der Cour des Aides. Dadurch habe ich natürlich auch immer wieder mit Regierungsbeamten zu tun. Und wenn man den Leuten begegnet, die das Land regieren« – er schüttelte den Kopf – »bildet man sich unweigerlich ein Urteil über ihre Fähigkeiten. Das lässt sich gar nicht vermeiden.«
»Aber das sind doch alles Einzelpersonen.« (Entschuldige, dass ich dich unterbreche, wenn ich etwas nicht verstehe, hätte sie am liebsten hinzugefügt.) »Muss man da denn gleich das ganze System in Frage stellen? Ist das zwingend?«
»Letztlich stellt sich nur eine Frage«, sagte er. »Kann es so weitergehen? Die Antwort lautet: Nein. Ich nehme mal stark an, dass unser Leben in einem Jahr sehr anders aussehen wird.«
Und dann presste er entschlossen die Lippen aufeinander, denn ihm war plötzlich aufgefallen, dass er mit ihr über Dinge sprach, die Frauen nicht interessierten. Und er wollte sie weder langweilen noch aufregen.
Philippe, der Herzog von Orléans, wird kahl. Seine Freunde – oder jene, die seine Freunde sein wollen – haben sich ihm zu Gefallen die Stirn ausrasiert, sodass sein Haarausfall wie eine Marotte wirkt. Aber auch Kriecherei kann die nackten Tatsachen nicht verstecken.
Herzog Philippe ist jetzt vierzig Jahre alt. Angeblich ist er einer der reichsten Männer Europas. Das Geschlecht der Orléans ist der jüngere Zweig der königlichen Familie, und seine Prinzen sind nur selten einer Meinung mit ihren älteren Vettern. Herzog Philippe stimmt mit König Louis in nichts, aber auch gar nichts überein.
Philippes Leben hat bis zu diesem Moment unter keinem guten Stern gestanden. Er hat eine so schlechte Erziehung genossen und ist so schlecht geraten, dass man geradezu meinen könnte, es sei mit Absicht geschehen, man habe ihn verderben, untauglich machen wollen, unbrauchbar für jegliche Art von politischer Aktivität. Als er heiratete und mit der frischgebackenen Herzogin in der Oper erschien, war die Galerie brechend voll von Prostituierten, die Trauer trugen.
Philippe ist nicht dumm, aber er ist leicht zu beeindrucken, anfällig für Moden und Grillen. Im Moment hat er allen Grund zur Klage. Der König mischt sich
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