Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
ständig in sein Privatleben ein. Seine Briefe werden geöffnet, und er wird von Polizisten und von den Spionen des Monarchen verfolgt. Sie versuchen, seine Freundschaft mit dem teuren Prinzen von Wales zu zerstören und ihm seine Fahrten nach England zu verwehren, von wo er doch so viele exquisite Frauen und Rennpferde mitgebracht hat. Von der Clique der Königin wird er permanent verleumdet und diffamiert; man will ihn lächerlich machen. Sein Vergehen besteht schlicht und einfach darin, dass er dem Thron zu nahe steht. Er findet es schwierig, sich über einen längeren Zeitraum zu konzentrieren, und wäre außerstande, aus einer Bilanz das Schicksal der Nation abzulesen, aber dass in Frankreich keine Freiheit herrscht, muss man Philippe d’Orléans nicht erst erklären.
Unter den Frauen in seinem Leben ragt eine heraus, und es ist nicht die Herzogin. Félicité de Genlis war 1772 seine Mätresse geworden, und um zu beweisen, welcher Art seine Gefühle für sie waren, hatte sich der Herzog ein Motto auf den Arm tätowieren lassen. Félicité ist eine Frau von liebenswürdigem, unbeugsamem Eigensinn, und sie schreibt Bücher. Es gibt nur wenige Felder menschlichen Wissens, die sie nicht mit ihrer peinigenden Pedanterie beackert hätte. Beeindruckt, staunend, in ihren Bann geschlagen, hat der Herzog ihr die Erziehung seiner Kinder anvertraut. Sie haben eine gemeinsame Tochter, Pamela, ein schönes, talentiertes Kind, das sie als Waise ausgeben.
Dem Herzog und seinen Kindern nötigt Félicité Respekt, Gehorsam und Bewunderung ab, der Herzogin die zaghafte Anerkennung ihrer Position und Kompetenzen. Félicité hat natürlich einen Gatten – Charles-Alexis Brulard de Sillery, Graf von Genlis, ein gutaussehender ehemaliger Marineoffizier, der sich militärisch sehr hervorgetan hat. Er steht Philippe nahe, gehört dessen gut gedrillter kleiner Armee von Strippenziehern, Hintermännern und Trabanten an. Die eheliche Verbindung hatte als Liebesheirat gegolten; fünfundzwanzig Jahre später hat sich Charles-Alexis seine Attraktivität und seinen Schliff bewahrt und gibt sich Tag und Nacht seiner großen Leidenschaft hin: dem Glücksspiel.
Félicité hat den Herzog sogar gebessert – sie hat ihn in seinen Exzessen ein wenig gemäßigt, sein Geld und seine Energie in gute Bahnen gelenkt. Mit Anfang vierzig ist sie noch gut erhalten, eine große, schlanke Frau mit dunkelblondem Haar, bestechenden braunen Augen und Gesichtszügen, die Entschlossenheit ausdrücken. Intim ist sie mit dem Herzog nicht mehr, doch sie wählt seine Mätressen für ihn aus und weist sie ein. Sie ist es gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen, um Rat gefragt zu werden, Empfehlungen auszusprechen. Für Antoinette, die Gattin des Königs, hat sie nichts übrig.
Die hemmungslose Frivolität des Hofes hat eine Art Leerstelle entstehen lassen – der Nation fehlt ein kultureller Mittelpunkt. Félicité wirkt daraufhin, dass Philippe und sein Hof diese Lücke füllen. Nicht dass sie politische Ambitionen für ihn hegte, aber es ist nun einmal so, dass viele Intellektuelle, viele Künstler und Gelehrte, viele der Männer, die man schätzt und an sich binden möchte, liberal gesinnte, aufgeklärte Geister sind, Männer, die eine neue Ordnung begrüßen würden – und da haben sie ja nun des Herzogs volle Sympathie. In diesem Jahr, 1787, hat er diverse junge Männer um sich geschart, größtenteils Adlige, alle ehrgeizig, alle mit dem vagen Gefühl, dass sie ihren Ehrgeiz nicht ausleben können, dass ihr Leben irgendwie unbefriedigend geworden ist. Der Herzog, bei dem dieses Gefühl ganz besonders ausgeprägt ist, wird zu ihrem Führer auserkoren.
Der Herzog möchte ein Mann des Volkes sein, insbesondere des Volkes von Paris; er möchte an den Stimmungen und Sorgen der Bevölkerung teilhaben. Er hält im Herzen der Stadt Hof, im Palais Royal. Den Palastgarten hat er der Öffentlichkeit übergeben, die Gebäude als Läden, Bordelle, Kaffeehäuser und Casinos verpachtet, und so sitzt Philippe im Epizentrum der Unzucht, des Klatsches, des Taschendiebstahls und der Straßenkämpfe: der Gute Herzog Philippe, der Vater Seines Volkes. Nur dass das bisher keiner ruft, so weit sind wir noch nicht.
Im Sommer ’87 wird Philippe für erste Probeläufe gewappnet und ins Rennen geschickt. Im November beschließt der König, das opponierende Parlament zu einer königlichen Sitzung einzuberufen, um einige Edikte registrieren zu lassen, die es ihm erlauben sollen, einen
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