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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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hielt die Gedanken, die ihm dazu kamen, auf herumliegenden Papierschnipseln fest.
    Im Dezember 1788 verkaufte der Herzog die Bestände seiner prachtvollen Kunstgalerie im Palais Royal; der Erlös kam den Armen zugute. Wie die Zeitungen verkündeten, sollten täglich tausend Pfund Brot verteilt werden, der Herzog übernahm die Entbindungskosten mittelloser Frauen (selbst wenn die Kinder nicht von ihm waren, setzten Spötter hinzu), verzichtete auf seinen Zehnt beim Getreide und hob die Jagdgesetze auf.
    Das war Félicités Wirken. Es geschah zum Besten des Landes. Es tat auch Philippe nicht schlecht.
    RUE CONDÉ : »Auch wenn die Zensur abgeschafft ist«, sagt Lucile, »gibt es doch noch empörende Sanktionen.«
    »Gottlob!«, sagt ihr Vater.
    Auf dem Tisch liegt Camilles erstes Pamphlet, säuberlich in Papier gebunden. Sein zweites liegt in Manuskriptform daneben. Die Druckereien rühren es nicht an, noch nicht; sie müssen erst warten, bis sich die Lage verschlechtert.
    Luciles Finger liebkosen es, das Papier, die Tinte, die Heftung:
Unseren Tagen sollte es vorbehalten sein, die Rückkehr der Freiheit nach Frankreich zu erleben … Seit vier Jahrzehnten unterhöhlt nun die Philosophie die Grundfesten des Despotismus, und so wie Rom schon vor Cäsar unfrei war, versklavt durch seine Laster, war Frankreich schon vor Necker mündig, befreit durch seinen Intellekt … Mit jedem Tag, der vergeht, greift der Patriotismus weiter um sich, mit der verzehrenden Geschwindigkeit eines gewaltigen Brandes. Die Jungen fangen Feuer, die Alten trauern erstmals nicht mehr der Vergangenheit nach. Jetzt schämen sie sich ihrer.

6. Die letzten Tage von Titonville
    (1789)
    Eine Eingabe bei den Generalständen:
     
Die Gemeinde Chaillevois umfasst rund zweihundert Seelen. Die meisten von ihnen besitzen gar nichts; wer doch etwas hat, hat so wenig, dass es der Rede nicht wert ist. Zumeist gibt es Brot zu essen, in Salzlake getunkt. Fleisch kommt nie auf den Tisch, außer am Ostersonntag, am Fastnachtsdienstag und am Namenstag … Manch einer isst auch Gartenbohnen, wenn es der Pachtherr ihm nicht verbietet, sie zwischen den Weinranken zu ziehen … So lebt das gemeine Volk unter dem besten aller Könige.
    Honoré-Gabriel Riquetti, Graf von Mirabeau:
Meine Devise soll sein: in die Stände um jeden Preis.
    NEUJAHR : Man tritt hinaus auf die Straße und denkt, endlich ist es so weit, der Zusammenbruch ist da, der große Krach, das Ende der Welt. So kalt wie jetzt war es seit Menschengedenken nicht. Der Fluss ist bis zum Grund gefroren. Am ersten Morgen war das etwas Spannendes. Die Kinder rannten ganz aufgeregt hin und zerrten ihre jammernden Mütter nach draußen, damit sie es auch sahen. »Man könnte eislaufen«, sagten die Leute. Nach einer Woche mochten sie dann nicht mehr hinsehen. Jetzt behalten sie ihre Kinder im Haus. Unter den Brücken warten die Notleidenden an kleinen, qualmenden Feuern auf den Tod. Ein Laib Brot für Neujahr kostet 14 Sous.
    Diese Menschen haben ihre armseligen Unterkünfte, ihre Hütten und Höhlen verlassen, haben den steinharten, schneeverkrusteten Äckern, auf denen nie wieder etwas wachsen zu können scheint, den Rücken gekehrt. Sie haben ein paar Kanten Brot und vielleicht ein paar Maroni in ein Tuch geknotet, ein kleines Bündel Reisig geschnürt und sich ohne Abschied auf den Weg gemacht. Sie ziehen in Grüppchen, der Sicherheit wegen, manchmal nur Männer, manchmal Familien, halten sich an Leute aus ihrer eigenen Gegend, deren Sprache sie verstehen. Erst singen sie und erzählen Geschichten. Nach zwei Tagen etwa gehen sie schweigend. Aus dem Marsch ist ein Sich-vorwärts-Schleppen geworden. Mit viel Glück findet sich ein Schuppen oder Kuhstall für die Nacht. Alte Frauen können morgens nur mühsam geweckt werden, nicht selten haben sie über Nacht den Verstand verloren. Kleine Kinder werden vor Hoftüren ausgesetzt. Manche sterben, manche werden von gütigen Seelen aufgenommen und wachsen unter anderem Namen auf.
    Diejenigen, die Paris halbwegs bei Kräften erreichen, tun sich nach Arbeit um. Für Auswärtige gibt es hier nichts, sagt man ihnen, es werden ja schon unsere eigenen Männer entlassen. Weil der Fluss zugefroren ist, gelangen keine Waren in die Stadt: keine Stoffe zum Färben, keine Häute zum Gerben, kein Korn. Schiffe stecken im Eis fest, in ihren Laderäumen verfault das Getreide.
    Die Obdachlosen finden sich an geschützten Plätzen zusammen. Sie reden nicht über ihre Lage, weil es

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