Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
Vom Netzwerk:
wären undankbares Gesindel, wenn sie dich nicht wählen. Nach allem, was du für die Armen getan hast. Du verdienst es.«
    »Es ist kein Preis, den man verliehen bekommt.«
    »Du hast so hart gearbeitet, alles unbezahlt, ohne Geld, ohne Schuldschrift. Und sag jetzt nicht, dass dir das nichts ausmacht. Niemand ist dazu verpflichtet, ein Heiliger zu sein.«
    Er seufzte. Charlotte hatte ihre ganz eigene Art, ihn zurechtzustutzen. Mit dem Familienmesser, hübsche, saubere Schnitte.
    »Ich weiß, was du denkst, Max«, sagte sie. »Du glaubst nicht, dass du nach einem halben Jahr oder einem ganzen aus Versailles zurückkommen wirst. Du glaubst, es wird dein Leben verändern. Soll es eine Revolution geben, nur damit du dich freust?«
    »Die Generalstände können von mir aus tun, was sie wollen«, erklärte Philippe d’Orléans. »Hauptsache, ich bin dabei, wenn sie sich mit der Freiheit des Individuums befassen, und kann für ein Gesetz stimmen, das sicherstellt, dass ich nicht nach Villers-Cotterêts geschickt werden kann, wenn ich lieber in Raincy schlafen möchte.«
    Gegen Ende des Jahres 1788 berief der Herzog einen neuen Privatsekretär. Er stellte andere gern bloß, auch das war ein Grund für seine Wahl. Bei dem Neuzugang in seiner Entourage handelte es sich um einen Armeeoffizier namens Laclos. Er ging auf die fünfzig zu, ein großer knochiger Mann mit gut geschnittenem Gesicht und kalten blauen Augen. Er war mit achtzehn in die Armee eingetreten, aber nie im Feld gewesen. Früher einmal hatte ihn das gegrämt, aber zwanzig Jahre in Garnisonsstädten in der Provinz hatten ihn mit profundem philosophischem Gleichmut ausgestattet. Zum Zeitvertreib hatte er ein paar Gedichtchen sowie das Libretto zu einer Oper geschrieben, die nach einer einzigen Vorstellung abgesetzt wurde. Und er hatte Menschen beobachtet, hatte ihre Winkelzüge studiert, ihre Machtspiele. Zwanzig Jahre lang hatte er sich mit nichts anderem befasst. Er war bestens vertraut mit dem menschlichen Hang dazu, das schlechtzumachen, was man bewundert und beneidet – dazu, nur das zu wollen, was man selbst nicht haben kann.
    Sein erster Roman, Gefährliche Liebschaften , erschien 1782 in Paris. Die erste Auflage war innerhalb von Tagen vergriffen. Der Verleger rieb sich die Hände: Wenn dieses schockierende, zynische Buch das war, was die Öffentlichkeit wollte, wozu sich dann als Zensor aufspielen? Die zweite Auflage fand ebenso reißenden Absatz. Würdige Damen und Bischöfe brachten ihre Empörung zum Ausdruck. Ein schwarz gebundenes Exemplar wurde für die Privatbibliothek der Königin geordert. Türen wurden dem Autor vor der Nase zugeschlagen. Er war etabliert.
    Seine militärische Laufbahn schien beendet zu sein. Ohnehin hatte seine Kritik an den Armeetraditionen seine Stellung unhaltbar gemacht. »Genauso jemanden kann ich gebrauchen«, sagte der Herzog. »Jedes Täuschungsmanöver ist wie ein offenes Buch für ihn.« Als Félicité de Genlis von Laclos’ Berufung erfuhr, drohte sie, ihr Amt als Erzieherin der herzoglichen Kinder niederzulegen. Laclos konnte sich schlimmere Katastrophen denken.
    Für den Herzog stand einiges auf dem Spiel. Wenn er sich die unruhigen Zeiten zunutze machen wollte, brauchte er einen Apparat, eine Machtbasis. Seine oberflächliche Beliebtheit bei den Parisern wollte gewinnbringend eingesetzt sein. Männer mussten in seinen Dienst verpflichtet, ihre Vergangenheit durchleuchtet und ihre Zukunft vorausgeplant werden. Loyalitäten wollten getestet sein. Geld musste den Besitzer wechseln.
    Laclos prüfte die Situation und brachte seine kalte Intelligenz zum Tragen. Er knüpfte Kontakte zu Literaten, die bei der Polizei aktenkundig waren. Er zog diskrete Erkundigungen unter emigrierten Franzosen ein, um die Gründe ihres Exils zu erfahren. Er beschaffte sich einen großen Stadtplan von Paris und kringelte Punkte, die befestigt werden konnten, blau ein. Er durchforstete bis tief in die Nacht die Seiten der Flugschriften, die ihn mit der Pariser Tagespresse erreichten; die Zensur griff nicht mehr. Er suchte nach Autoren, die sich kühner und freimütiger äußerten als der Rest; auf diese ging er zu. Die wenigsten von ihnen konnten mit einem Bucherfolg wie dem seinen aufwarten.
    Laclos war jetzt der Mann des Herzogs. Seine Sprechweise war lakonisch, sein Gebaren lud nicht zur Vertraulichkeit ein, die wenigsten kannten auch nur seinen Vornamen. Mit verstohlenem professionellem Interesse beobachtete er Männer und Frauen und

Weitere Kostenlose Bücher