Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
Entschuldigung, die bei der Regierung Anklang fand. Einmal abgesehen von der Tatsache, dass er im August extrem knapp bei Kasse gewesen war.
Die Regierung hätte mehr Verständnis zeigen sollen. Wenn sie ihm letztes Jahr einen Posten gegeben hätten, statt ihn zu übersehen – etwas seinen Talenten Angemessenes, die Botschaft in Konstantinopel etwa, oder in Petersburg –, dann hätte er seine Geheime Geschichte verbrannt oder im Teich versenkt. Wenn sie auf seinen Rat gehört hätten, dann müsste er ihnen jetzt keine bitteren Pillen zu schlucken geben.
Der Adel hatte ihn also ausgeschlossen. Sollte er doch. Vor drei Tagen hatte er sich in Aix-en-Provence als Kandidat für den dritten Stand zur Wahl gestellt. Das Ergebnis? Ein Sturm der Begeisterung. Ihren »Landesvater« hatten sie ihn genannt; er war beliebt in der Provinz. Wenn er nach Paris kam, würden die Glocken von Aix noch immer die Freudenbotschaft hinausläuten, über den südlichen Nachthimmel würden noch immer die goldenen Lichtblitze der Feuerwerkskörper zucken. Lebendes Feuer . Er würde nach Marseilles fahren (sicher ist sicher!), und der Empfang würde um kein Haar weniger lautstark und glanzvoll sein. Der Ordnung halber würde er vorab ein anonymes Pamphlet zum Lobe seiner Person und seiner Tugenden veröffentlichen.
Wie also jetzt diesem Gewürm in Versailles begegnen? Konziliant? Intrigant? Hätten sie die Stirn, ihn während der allgemeinen Wahlen zu verhaften?
Eine Flugschrift des Abbé Sieyès, 1789:
Was ist der Dritte Stand?
Alles.
Was war er bisher in der politischen Ordnung?
Nichts.
Was fordert er?
Etwas zu werden.
Erste Wahlversammlung des Dritten Standes in Guise im Arrondissement Laon, 5. März 1789. Den Vorsitz hat Maître Jean-Nicolas Desmoulins als Generalleutnant des Amtsbezirks Vermandois, assistiert von seinem Stellvertreter M. Saulce. Schriftführer: M. Marriage. Anwesend: 292 Personen.
Aus Respekt vor dem illustren Anlass hatte M. Desmoulins’ Sohn sein Haar mit einem breiten grünen Band nach hinten gebunden. Ursprünglich war es ein schwarzes Band gewesen, aber Camille war gerade noch rechtzeitig eingefallen, dass Schwarz die Farbe der Habsburger und Marie Antoinettes war, als deren Parteigänger er um keinen Preis dastehen wollte. Grün dagegen war die Farbe der Freiheit und der Hoffnung. Sein Vater wartete an der Haustür auf ihn, zornbebend ob der Verspätung, einen neuen Hut auf dem Kopf. »Ich werde nie verstehen, warum Hoffnung zu den Tugenden gerechnet wird«, bemerkte Camille. »Sie hat so etwas Eigennütziges.«
Der Tag war windig und kalt. An der Rue Grand-Pont blieb Camille stehen und berührte seinen Vater am Arm. »Komm mit mir zur Wahlversammlung in Laon. Sprich für mich. Bitte.«
»Du meinst, ich soll zu deinen Gunsten verzichten?«, sagte Jean-Nicolas. »Die Eigenschaften, die die Wähler an mir schätzen werden, sind nicht die, die du von mir geerbt hast. Ich weiß, dass sich gewisse Leute in Laon für dich stark machen, weil du dich angeblich auskennst et cetera. Ich sage nur: Sollen sie dich kennenlernen. Sollen sie versuchen, sich fünf Minuten normal mit dir zu unterhalten. Sollen sie dich einfach zu Gesicht bekommen . Nein, Camille, erwarte nicht von mir, dass ich mithelfen werde, dich den Wählern aufs Auge zu drücken.«
Camille setzte zu einer Erwiderung an. Sein Vater sagte: »Hältst du es für klug, auf der Straße herumzudebattieren?«
»Ja, wieso nicht?«
Jean-Nicolas packte seinen Sohn am Arm. Nicht das Würdevollste, ihn in die Versammlung zu schleifen, aber zur Not war er auch dazu bereit. Der feuchte Wind fuhr ihm durch die Kleider, überallhin, wo es zwickte und stach. »Komm jetzt«, zischte er, »bevor sie ohne uns anfangen.«
»Ah, endlich«, sagten die Vettern de Viefville. Rose-Fleurs Vater betrachtete Camille säuerlich. »Ich hatte eigentlich gehofft, dich nicht zu sehen, aber du gehörst nun einmal zur hiesigen Anwaltschaft, und wie dein Vater sehr richtig sagt, können wir dir ja schlecht dein Stimmrecht nehmen. Schließlich ist das hier vielleicht deine einzige Chance, in den Angelegenheiten der Nation mitzumischen. Du schreibst neuerdings, wie ich höre«, fuhr er fort. »Flugschriften. Nicht die vornehmste Art der Überzeugungsarbeit, wenn ich das so sagen darf.«
Camille lächelte ihn holdselig an. »Ich soll Sie von Maître Perrin grüßen«, sagte er.
Nach der Abstimmung blieb Jean-Nicolas nichts zu tun übrig, als sich in Laon die offizielle
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