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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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abschwächen?«
    »Nein«, sagte Camille. Nein, ich mache keine Kompromisse: genau die Worte von Billaud-Varennes. Er schüttelte den Kopf. Er hatte sich das Haar wachsen lassen; bei jedem Kopfschütteln flogen die dunklen Wellen theatralisch hin und her, ein Effekt, der ihm zusagte. Kein Wunder, dass er Kopfschmerzen hatte.
    Der Drucker fragte: »Was macht Ihr schlüpfriger Roman mit M. Fabre? Kann es sein, dass Sie nicht mit dem Herzen dabei sind?«
    »Wenn er erst weg ist«, meinte Fabre hämisch zu d’Anton, »arbeite ich das Manuskript um und lasse unsere Heldin so aussehen wie Lucile Duplessis.«
Wenn die Versammlung der Generalstände tatsächlich, wie vom König versprochen, stattfinden kann … wird sie fast gewisslich Neuerungen in der Regierung zur Folge haben. Eine Verfassung, im Zweifel nicht ganz unähnlich der englischen, wird gebilligt werden, und die Macht der Krone wird eingeschränkt.
    J. C. Villiers, Parlamentsabgeordneter für Old Sarum
    Gabriel Riquetti, Comte de Mirabeau, wird vierzig: alles Gute! Aus Anlass des Jahrestags musterte er sich in einem hohen Spiegel. Die Gestalt in dem Glas schien fast zu massig und vital für den filigranen Rahmen.
    Familienanekdote: Am Tag der Geburt kam der Geburtshelfer zu seinem Vater, das in ein Tuch gehüllte Kind auf dem Arm. »Erschrecken Sie nicht…«, begann er.
    Eine Schönheit kann man ihn nicht nennen. Vierzig? Er sieht eher wie fünfzig aus. Eine Runzel für seinen unbeglichenen Bankrott: nur die eine, Geld hat ihn noch nie gekümmert. Eine Runzel für jeden qualvollen Monat im Staatsgefängnis in Vincennes. Eine Runzel für jeden von ihm gezeugten Bastard. Du hast gelebt, sagte er sich. Glaubst du, das geht spurlos an einem Menschen vorüber?
    Vierzig ist ein Wendepunkt, sagte er sich. Nicht zurückschauen. Die Hölle seiner Kindheit; das Gebrüll, fliegende Fetzen, dazwischen tagelang ein verbissenes, mörderisches Schweigen. Einmal hatte er sich zwischen seine Eltern geworfen, worauf seine Mutter eine Pistole auf ihn abfeuerte. Kaum vierzehn war er damals, und was sagte sein Vater? Jetzt kenne ich deine wahre Natur! Dann die Armee, zwei, drei obligatorische Duelle, Anfälle von Unzucht und blindwütigem Aufbegehren. Flucht, Untertauchen. Gefängnis. Bruder Bonifatius, der sich an jedem einzelnen Tag seines Lebens gnadenlos zusoff, bis sein aufgedunsener Körper die Proportionen eines Jahrmarktsmonstrums hatte. Nicht zurückschauen. Und fast nebenbei, fast unbemerkt ein Bankrott und eine Heirat: petite Émilie, die Erbin, dieses winzige Bündel Gift, dem er Treue geschworen hatte. Wo mochte Émilie heute sein, fragte er sich.
    Alles Gute, Mirabeau. Zeit zur Bestandsaufnahme. Er straffte die Schultern. Er war hochgewachsen, ein kraftstrotzender Mann mit breiter Brust: lungenstark. Das Gesicht war zum Fürchten, übelste Pockennarben; nicht dass dies die Frauen abzuschrecken schien. Er drehte den Kopf leicht, um seine Adlernase zu bewundern. Sein Mund war schmal, einschüchternd; man konnte es einen grausamen Mund nennen, dachte er. Alles in allem betrachtet, war es ein sehr maskulines Gesicht, lebhaft und vornehm. Mittels einer oder zwei kleiner Verschönerungsmaßnahmen hatte er seine Familie zu einer der ältesten und edelsten von ganz Frankreich befördert. Wen scherte die Wahrheit? Nur Pedanten, Ahnenforscher. Die Menschen nehmen einen als das, was man aus sich macht, sagte er sich.
    Aber jetzt hatte der Adel, der zweite Stand im Reich, ihn ausgeschlossen. Er würde keinen Sitz haben. Er würde keine Stimme haben. Dachten sie.
    Erschwert wurde das Ganze dadurch, dass letzten Sommer ein skandalumwittertes Buch mit dem Titel Geheime Geschichte des Berliner Hofes erschienen war. Es befasste sich recht detailliert mit der schmuddeligeren Seite der preußischen Hautevolee und den sexuellen Vorlieben einiger ihrer prominenteren Mitglieder. So heftig er seine Autorschaft auch abstritt, war doch allen klar, dass das Buch auf seinen Beobachtungen während seiner Diplomatenzeit beruhte (er ein Diplomat? Was für ein Witz!). Streng genommen traf ihn keine Schuld: Hatte er das Manuskript nicht seinem Sekretär zur Verwahrung gegeben, mit der strikten Auflage, es niemandem zu überlassen, am allerwenigsten ihm selbst? Wie hätte er ahnen sollen, dass seine derzeitige Geliebte, eine Verlegersgattin, regelmäßig mit einem Dietrich die Schlösser öffnete und den Schreibtisch seines Sekretärs durchsuchte? Aber das war nicht ganz die Art von

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