Brüder und Schwestern
hob Zeiller seine Stimme, »sollten deinerseits weiterhin Einwände bestehen und sollte jetzt nicht endgültig und ein für allemal Schluß sein mit deinem kontraproduktiven Gequatsche, kündige ich dir hiermit an, mich umgehend für deine Abberufung einzusetzen. Dann bist du weg vom Fenster und schaust nie wieder raus, Willy!«
Mit irritiertem Gesichtsausdruck zog Willy die Kanne zu sich heran und goß sich nun doch einen Kaffee ein.
Zeiller sagte, er werde jetzt fortfahren mit seinen Ausführungen über den »Westenend«-Vertrag. Dieser erfordere gewisse Umstellungen: Holzfreies Papier sei vonnöten, denn das hierzulande übliche Gelbbraun der Seiten sowie die vielen kleinen Splitter zwischen den Wörtern, die keine Kommata und auch keine Semikola seien, sehe man in Westdeutschland gar nicht gern. Dazu ein großzügigerer Satzspiegel natürlich, nicht alles von oben bis unten und von links bis rechts bedruckt, es herrsche ja kein Papiermangel dort, wo überhaupt manches anders sei, der Kapitalismus neige, wie allseits bekannt, zum Aufbauschen seiner Produkte, und bei allem Respekt, »Westenend«, diese anerkannte Brutstätte des Seriösen und Inhaltsschweren, entziehe sich, wenn überhaupt, doch auch nur halbherzig diesen systemimmanenten Regeln und verlange zuweilen nach voluminösem Papier, um etwas dünnere Bücher wuchtiger ausschauen zu lassen; man nehme nur jemanden wie den braven Gilmar Gluth und seine literarischen Scheibchen, der Westen würde daraus glatt Tolstoische Ziegel machen … oder Klopper nach Art des James Joyce.
Letzteres hatte Zeiller nach einer Pause hinzugefügt. »Joyce …«, wiederholte er scheinbar gedankenlos, und dann sagte er: »In diesem Zusammenhang, die detaillierten Absprachen wirst du mit Overdamm selber treffen, er wird in den nächsten Wochen bei dir vorbeischauen. Ich bitte dich im voraus nur um eines: Erfülle seine Wünsche, sage nicht, daß dir etwas unmöglich sei, selbst wenn es dir unmöglich erscheint. Wir kriegen es dann schon hin. Wir dürfen uns unter keinen Umständen mit Overdamm überwerfen, vergiß das nicht, unter keinen Umständen!«
Willy stutzte. Für Zeillersche Verhältnisse war das eine geradezu devote Aussage. Willy fragte, warum er so ausdrücklich betone, man müsse Overdamm entgegenkommen, und dabei rutschte ihm sogar das Wort ängstlich heraus.
»Ängstlich«, raunzte Zeiller, aber mehr schien ihm in diesem Moment nicht einzufallen. Er nippte an seinem Kaffee.
Die plötzliche Einsilbigkeit seines Vorgesetzten ließ den eben noch vom Rausschmiß bedrohten Willy wieder mutiger werden: »Es betrifft ja wohl mich und den ›Aufbruch‹, also sag schon, was steckt dahinter?«
Zeiller schniefte. »In Ordnung, ich will dich nicht im unklaren lassen. Aber du mußt Stillschweigen bewahren, gegenüber jedermann, ansonsten kommen wir in Teufels Küche, alle! Die Geschichte hängt mit Joyce zusammen, mit der Lizenz für den Ulysses , den du vor einigen Jahren drucken durftest. Der Westen hat natürlich noch einmal gelästert, nach dem Motto: Nun vermochte sich also endlich auch Ostberlin zu einer Veröffentlichung dieses ganz und gar unbedeutenden Büchleins durchzuringen. Geschenkt, die Häme. Wir haben es herausgebracht, nur das zählt. Aber weißt du, wieviel es uns gekostet hat? 40 000 D-Mark! Und noch eine Zahl nenne ich dir: Wieviel, denkst du wohl, hat Overdamm ursprünglich verlangt? 60 000! Der wollte uns an den Kosten für die Neuübersetzung beteiligen, die seien da eingespeist, argumentierte er, denn die Neuübersetzung, auf die hätten wir doch ausdrücklich gewartet, oder tröge ihn da seine Erinnerung? Nun, etwas Dahingehendes hatten wir ihm viele Jahre zuvor tatsächlich erklärt. Weil, laß es mich so formulieren, bestimmte verantwortliche Genossen damals der Meinung gewesen waren, die Zeit sei noch nicht reif für den Ulysses . Deshalb mußten wir bei den Verhandlungen mit Overdamm immer wieder ausweichen und sagen, wir warten lieber auf die Neuübersetzung. Und darauf bezog sich nun also der Quadratschädel: Hier ist die Übersetzung, auf die Sie all die Jahre so großen Wert gelegt und deren Erscheinen Sie mit dankenswerter Geduld entgegengefiebert haben, meine Herren, und hier ist der Preis. Wir entgegneten, wenn er eine Null streiche, kämen wir überein, denn 60 000, dabei könne es sich ja wohl nur um einen Scherz handeln. Eine Null weg, lachte nun er, das sei ein Witz, er habe schon eine halbe Million in den Joyce investiert,
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