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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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kontrollierte, ergo müsse das Beiseiteräumen in weniger als zwei Stunden erfolgt sein, richtig? – Wie gesagt, das erinnere er nicht mehr. – Herr Kalus, hören Sie, wir haben das Ganze am vorgestrigen Tage nachgestellt, mit einem Herrn, dessen Arm wir in Gips steckten, und was denken Sie, wie lange dieser unser Probant gebraucht hat? – Och, darüber wolle er nicht spekulieren. – Exakt fünf Stunden und 45 Minuten, Herr Kalus. – Dann sei jener Herr vielleicht ein etwas schwächlicher gewesen, es sei denn … – Es sei denn? – Es sei denn, der Wächter hätte eine Runde ausgelassen vielleicht?
    Herr Werchow, damit zu Ihnen, Sie haben vernommen, welchen Vorwurf der Angeklagte auf nur notdürftig versteckte Weise gegenüber Ihrem Mitarbeiter erhebt? – Gewiß. – Wie schätzen Sie nun jenen zwischenzeitlich leider verstorbenen Mitarbeiter ein? Handelte er gewissenhaft? Unserer Kenntnis nach war er schon lange bei Ihnen tätig, exakt 47 Jahre, dürfen wir aus dieser enormen Zeitspanne der ununterbrochenen Zusammenarbeit schließen, er habe sich stets zuverlässig gezeigt? – Nun, grundsätzlich sei das zu bejahen, doch bitte er, Willy Werchow, das Gericht zu bedenken, wie alt der geschätzte Kollege zum Zeitpunkt des hier besprochenen kriminellen Akts bereits gewesen sei … genau, 69 Jahre, ja und nun müsse er in seiner Funktion als Betriebsdirektor eine klitzekleine Kleinigkeit einräumen, um nicht zu sagen zugeben, nämlich: Jener damals längst im Rentenalter Befindliche, der, nebenbei bemerkt, nur wegen des allseits bekannten Mangels an Arbeitskräften sowie wegen seiner ungebrochenen und tiefreichenden Verbundenheit mit seinem alten Betrieb sich überhaupt zu den Kontrollgängen bereitgefunden, habe diese nicht immer mit der letzten Konsequenz ausgeführt. Das sei nach dem Einbruch während einer Befragung des verdienstvollen Mitarbeiters ans Licht gekommen. Gleichwohl sollten diesem seine späten Versäumnisse nicht nachträglich »um die Ohren gehauen werden«, denn wie bereits angedeutet, der Mann habe sich bloß breitschlagen lassen. – Nicht immer mit der letzten Konsequenz ausgeführt, sagen Sie, wollen Sie das präzisieren? – Wie man vielleicht verstünde, falle es ihm nicht leicht, dies zu tun, doch könne er sich dem Ansinnen des Gerichts schwerlich entziehen. Um es also kurz zu machen: Jener, noch einmal, Respekt verdienende Kollege habe seine, wie gesagt, naturgemäß schon recht müden Schritte in mancher Nacht (man höre nur gut zu: in mancher Nacht, formulierte Willy, näher legte er sich nicht fest) nur einmal und nicht wie vereinbart alle zwei Stunden zu dem bewußten Depot hingelenkt. Demnach könne durchaus zutreffen, was der Angeklagte … – Die entsprechenden Schlüsse, Herr Werchow, überlassen Sie bitte dem Hohen … – … Aber selbstverständlich, selbstverständlich.
    Dies alles war gesagt worden, aber nichts davon konnte er Overdamm erzählen. Es würde doch nur wie eine billige Rechtfertigung klingen.
    »Wie geht es Kalus jetzt?« fragte er. »Schreibt er noch? Sitzt er noch in seinem elenden Kabuff?«
    Overdamm stutzte. »Sie kennen ihn näher? Sie waren in diesem … Zimmer? Das hat er mir gar nicht erzählt.«
    »Ich war nicht dort. Ein Freund, dessen Sohn mit ihm Kontakt hat, berichtete mir davon. Es muß klaustrophobisch sein bei Kalus. Als er verurteilt wurde, dachte ich mir, jetzt tauscht er ja eine Zelle mit der anderen. Womit … womit ich nicht ausdrücken will, daß die Haft für ihn nicht weiter schlimm gewesen sein mag. Nur hatte er sie daheim auf gewisse Weise schon vorweggenommen, das meine ich. Und nun führt er sie wohl fort, wieder daheim.«
    »Das liegt nicht an ihm«, sagte Overdamm mit harter Stimme.
    »Wahrscheinlich nicht«, murmelte Willy.
    »Ganz sicher liegt es nicht an ihm«, bekräftigte Overdamm. »Im übrigen hat es aber auch sein Gutes. Sie sprachen von Klaustrophobie, und diese Klaustrophobie ist in seinen Werken geradezu greifbar. Es ist eine großartige bedrückende Literatur, wie sie schwerlich im Hellen geschrieben werden kann. Sie kommt aus dem Dunkeln, sie strahlt schwarz – haben Sie mal was von Kalus gelesen?«
    Willy schüttelte den Kopf.
    »Richtig«, sagte Overdamm, »an den Wänden seines Sarges stapeln sich seine Bücher, und niemand außer ihm selber kennt sie.« Er schaute ärgerlich. Dann zeigte sich ein beinahe beschwingtes Lächeln auf seinem Gesicht, aber nur kurz. Als habe er keine Zeit zu verlieren, rief er:

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