Brüder und Schwestern
das hätte nicht sein müssen, ich war schwach in dem Moment, ich glaube, je schwächer jemand gerade ist, um so größere Worte muß er gebrauchen.«
»Aber warum konnten Sie denn nicht? In Dreiteufelsnamen, hören Sie doch endlich auf, in Rätseln zu sprechen«, platzte es aus Heiner Jagielka heraus.
Karin Werth fuhr sich mit dem Handtuch, das sie während ihrer Rede geknüllt hatte, übers Gesicht, so hart, daß sich auf ihrer Wange ein Striemen zeigte. »Nur ein Satz noch, ein Satz! Jetzt ist es nämlich so, daß ich mich Ihnen offenbare, und zwar schonungsloser, als Sie es je getan haben, und davor habe ich eine beinahe unaussprechliche Angst. Meine Offenbarung wird Ihnen aber alles erklären und, ich wiederhole mich, Sie hoffentlich verzeihen lassen. Ich mußte um Sie herumschnüffeln, weil ich – weil ich mit Ihren Blumen nach Westberlin will.«
Karin Werth hatte die letzten Worte deutlich betont und holte nun tief Luft. Sie starrte Jagielka mit einer Mischung aus Bangigkeit und Trotz in die Augen.
Der, nun wahrlich nicht schwer von Begriff, hatte in diesem Moment erhebliche Mühe, ihr zu folgen. Eben noch war er in allerhöchster Sorge gewesen, die Dame hätte ihn übel bespitzelt, und jetzt redete sie, wovon redete sie, wirklich von ihrer Flucht? »Bitte«, murmelte er, »wenn Sie das ein wenig näher erläutern könnten, das wäre sehr freundlich …«
Karin Werth nickte demütig. »Natürlich, das will ich ja, das will ich ja. Ich habe mich hier bei Ihnen eingeschlichen, weil ich eine Chance sah, mich auf dem Laster voller Blumen über die Grenze bringen zu lassen, und zwar auf eine Weise, daß niemand es merkt, nicht Sie, schon gar nicht der Fahrer, überhaupt gar keiner. Nur deshalb habe ich Ihre nähere Bekanntschaft gesucht, nur deshalb habe ich in den letzten Nächten hier gelegen. Ich wollte die Bedingungen auskundschaften.« Sie stand vor ihm, die Hände mit dem Frotteetuch nach unten gestreckt, den Kopf ein wenig gesenkt, wie ein schuldbewußtes Kind. Plötzlich straffte sie sich: »Ich muß mich dafür aber nicht entschuldigen. Man wird doch hier zu solcher Heimlichkeit gezwungen. Ich konnte Ihnen ja nicht gleich reinen Wein einschenken. Und jetzt, jetzt ist’s immer noch Harakiri, daß ich’s tue. Aber ich kann nicht anders. Ich habe keine Wahl. Und Sie, Sie können nun mit mir machen, was Sie wollen.« Sie schaute ihn mit einem düsteren und angriffslustigen Blick an, denn um nichts in der Welt wollte sie in diesem Augenblick, da sie Jagielka alles preisgab, unterwürfig erscheinen.
Er schaute schweigend und unverkennbar mißmutig zurück. »Sie reden fast so, als sei ich für die Heimlichkeit, wie Sie es nennen, ich nenne es Spitzelei, Fräulein Werth, eine lupenreine Spitzelei ist das ja wohl gewesen, als sei ich dafür verantwortlich, und als müßte ich mich entschuldigen …«
»Nein, nein«, rief Karin Werth erschrocken.
»Es mag Sie überraschen«, sagte Heiner Jagielka, »aber selbst ich habe eine Ehre. Ich will nicht hintergangen werden, schon gar nicht von einem … einem Wesen wie Ihnen.«
»Aber ich konnte doch nicht anders«, wiederholte sie gequält. Zugleich machte sich in ihr der größte Optimismus breit, denn daß Heiner Jagielka soeben Wesen gesagt hatte, als habe er eine Außerirdische oder sonstwie Besondere vor sich, war ihr nicht entgangen. Das Gröbste, dachte sie sich, scheint überstanden zu sein, Verrat würde wohl nicht begangen werden.
»Sagen Sie mir eines«, forderte Heiner Jagielka nun aber drohend, »sagen Sie mir, ob Sie sich schon bei Ihrem ersten Erscheinen hier verstellt und bei mir eingeschmeichelt haben!«
»Wie denn?« fragte Karin Werth. »So überlegen Sie doch: Ich kannte Sie bis dahin fast gar nicht, ich wußte noch nicht einmal von Ihrer Scheune. Erst als Sie mir von dem Dicken, von der Grauen Eminenz erzählt haben, da habe ich aufgehorcht.«
Heiner Jagielka schwieg grimmig.
»Sie sind mir böse«, sagte Karin Werth vorsichtig, »und das verstehe ich. Ich wäre wahrscheinlich auch böse an Ihrer Stelle. Seien Sie mir ruhig böse!«
Heiner Jagielka rief verzweifelt: »Sie sind zum Anbeißen, wenn Sie so reden, und Sie wissen genau, daß Sie’s sind. O ja, Sie haben den Bogen raus, Sie verstehen Ihr Spiel.«
Karin Werth seufzte: »Sie müssen mir glauben, daß ich eigentlich nicht so bin. Ich spiele nicht, normalerweise. Und das hier ist ja auch alles andere als ein Spiel, das ist eine Ausnahmesituation. Glauben Sie mir, ich will das
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