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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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eigentlich nicht, ich will nicht so sein, ich erkenne mich ja selbst nicht wieder, es ist mir, als hätte ich bis vor ein paar Tagen gar nichts über mich gewußt. Was an Verquerem alles in mir ist. Ich nehme mir schon die ganze Zeit vor, diese elende Berechnung, die mir gerade abverlangt wird, wieder fallenzulassen, wenn … wenn ich das hier geschafft habe. Aber nein, jetzt. Jetzt gleich soll es geschehen. Es gibt ja gar keinen Grund mehr, Ihnen was vorzumachen, denn Sie wissen nun sowieso schon alles. Nein, ich muß mich nicht mehr verstellen vor Ihnen, ich verspreche Ihnen, so etwas nie mehr zu tun.«
    Heiner Jagielka erteilte ihr nickend Absolution, und das fiel ihm in diesem Moment gar nicht mal schwer, erinnerte er sich doch, daß auch er einiges »an Verquerem« in sich hatte. Im Nicken aber stutzte er: »Wieso weiß ich schon alles? Liebes Fräulein, ich habe im Gegenteil den Eindruck, noch gar nichts zu wissen!«
    »Was wissen Sie denn nicht, was denn, sagen Sie!« Karin Werth leuchtete jetzt vor Unschuld.
    »Nun – was Sie eigentlich genau von mir wollen.«
    »Aber das habe ich Ihnen doch schon erklärt. Ich will mit Ihrer Hilfe in den Westen.«
    »Ha, mit meiner Hilfe«, entfuhr es Heiner Jagielka, »das haben Sie keineswegs erklärt. Genau andersrum war’s: Sie wollten unbemerkt von allen, also ausdrücklich auch unbemerkt von mir, hier raus, oder habe ich mich etwa verhört?«
    Da hatte sie wohl in ihrer Aufregung vergessen, ihm vom Ergebnis ihrer Nachtwachen zu berichten. Schnell holte sie das nach. Sie sagte, sie sehe keine Chance, ihren ursprünglichen Plan in die Tat umzusetzen, und bat Jagielka in aller Form, er möge sie zwischen die Blumen schleusen. Ob er sich dazu bereitfinden würde?
    »Ich soll den Fluchthelfer machen?« fragte er.
    »Ja«, sagte sie mit betont fester Stimme, »darum ersuche ich Sie.«
    In Heiner Jagielkas Kopf überschlugen sich die Gedanken: Gott ist das gefährlich, was sie verlangt – gefährlich für mich. Wenn sie geschnappt wird, ob hier oder an der Grenze, hänge ich sofort mit drin. Aber warum sollte sie geschnappt werden? An der Grenze, darauf kann man ja wohl vertrauen, rauscht sie durch, und hier, hier liegt alles in meiner Hand; also überschätze mal nicht die Bedrohung. Aber diese Karin Werth, geht denn das eigentlich Bedrohliche nicht von ihr aus, hat sie sich denn nicht die ganze Zeit unehrlich gezeigt, so verschlagen, wie ich es niemals von ihr erwartet habe? Was, wenn sie auch jetzt noch voller Falsch ist, was, wenn all ihre Pläne, beziehungsweise wären das ja dann die Pläne ihrer Hintermänner, darauf zielen, mich und meine Verläßlichkeit auf die Probe zu stellen? Ach nein, ach nein, das sind bloß Hirngespinste, warum sollte ich dermaßen in Versuchung gebracht werden? Ich spiele doch Devisen für den Dicken und seine Leute ein, nur darauf kommt es ihnen an, und solange ich ihnen die einspiele, werden sie mich in Ruhe lassen. Außerdem ist das Fräulein fürchterlich aufgeregt, ich sehe doch, wie es sich zusammenreißt, es lügt jetzt bestimmt nicht mehr, es ist ganz blank. Und da es nicht lügt, trägt es ein viel größeres Risiko als ich. Ja was für ein Wagnis, daß es mich fragt, es kennt mich doch kaum. Und trotzdem legt es sein Schicksal in meine Hände.
    Die Erkenntnis gefiel Heiner Jagielka, denn soviel Wärme er in seinem Gewächshaus auch produzierte, sowenig Wärme hatte er bislang selber gespürt; die ganze Welt stürzte sich auf seine Züchtungen, er aber, er war bei alldem ein Ungefragter geblieben, ein komisch anmutender, belächelter Mann, und deshalb erhitzte ihn das unendliche Vertrauen, das ihm jetzt auf einmal, und noch dazu von einer so bezaubernden Person, entgegengebracht wurde, weich und gefügig machte es ihn. Nicht ohne Ergriffenheit antwortete er, da sie ihn so inständig bitte, werde er ihr zu helfen versuchen, es sei ihm sozusagen eine Ehre.
    Karin Werth schenkte Heiner Jagielka einen Kuß, nur auf die Stirn, aber das genügte, ihn vor Freude erröten zu lassen. Dann berieten sie, wie sie vorgehen wollten und wie sie das Risiko, von dem Ledernen entdeckt zu werden, minimieren konnten, und am Ende legten sie einen Termin fest: Schon in der nächsten Nacht sollte Karin Werths Flucht erfolgen; es gab nicht den geringsten Grund, die Angelegenheit aufzuschieben.
    *
    In jener Nacht hing der Himmel niedrig, eine einzige unbewegliche Wolkendecke, die direkt auf den Baumwipfeln zu liegen schien. Es wird wohl nicht regnen,

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