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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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riß den eingenickten Blumen die Köpfe hoch, ließ sie alle strammstehen, wollte aber nichts von ihnen, wollte weiter, an die hintere Wand, wo Karin Werth sich duckte, es flackerte wie irre, das Licht, warum? Weil die Hände, die es hielten, die Blumenkisten beiseite räumten.
    Dann war der Weg frei, und der Lichtstrahl erwischte Karin Werth wie eine sauber abgefeuerte Kugel. Sie barg ihr getroffenes Gesicht schmerzverzerrt in der Armbeuge.
    Im ersten Moment dachte sie an einen Zufall. Als sie jedoch, vom Wagen geschubst, das zufriedene, höhnische Lächeln des Ledernen sah, begriff sie, daß es keiner war; der Lederne mußte von ihr gewußt haben. Jagielka, schoß es ihr durch den Kopf, Heiner Jagielka hatte sie verpfiffen, o wie naiv war sie gewesen, und wie perfekt hatte er sich verstellt.
    Heiner Jagielka aber, Heiner Jagielka erging es nicht besser als ihr. Als er am Morgen vor sein Gewächshaus fuhr, um die nächste Lieferung vorzubereiten, quollen Dutzende Männer da heraus und nahmen ihn wegen Beihilfe zur versuchten Republikflucht fest. Er verwünschte seinerseits Karin Werth, und sich selber auch, weil er annahm, er sei ihr, der Verlogenheit in Person, auf den Leim gegangen. Doch währte diese stumme Anklage nicht allzu lange, nur bis zur Vernehmung am Nachmittag. Jagielka stellte sich zunächst unwissend. Wer, liebe Genossen, soll diese Frau sein, die da hat rübermachen wollen? Nochmal bitte, wie? Nein, nie gehört, diesen Namen, weiß der Teufel, wie sie auf den LKW gekommen ist, zu meiner Produktpalette gehört sie jedenfalls nicht, hehe. Da konfrontierten ihn seine und ihre Häscher Wort für Wort mit den Absprachen, die er und Karin Werth getroffen hatten, und er begriff plötzlich, daß alles um ihn herum schon lange verwanzt gewesen sein mußte, und mit der Freiheit verlor er auch die Illusion, jemals allein gewesen zu sein in seinem schönen Hotel Lux.
    Und das und nichts anderes war es, was ihn, als die Zellentür sich hinter ihm schloß, ohnmächtig aufheulen ließ – die grausame Erkenntnis, immer unter Kontrolle gestanden zu haben in seinem Reich, das demnach gar nicht seines gewesen war. Schüttelfrost befiel ihn, und die Unterarmhaare stellten sich ihm auf. Er wischte darüber, sie schienen aus Draht zu sein, so schmerzten sie an den Wurzeln. Er wischte wieder, machte sie noch drahtiger. Während sie zurückschnellten, meinte er ihren Klang zu hören, den metallischen Klang des Schmerzes, mit dem er sich verzweifelt bürstete.
    *
    Ziemlich bald trat dann aber im Hintergrund die Graue Eminenz in Aktion, der Dicke, einen regen Briefaustausch pflegte er in jener für ihn nicht unwichtigen Causa mit dem auch recht verschwiegen operierenden Rechtsanwalt Börth; einmal zum Beispiel schrieb er: »Lieber Genosse Börth, ich bitte Dich, bei den bevorstehenden Verhandlungen über den Freikauf der Häftlinge Jagielka und Werth in keinem Fall den finanziellen Schaden außer Acht zu lassen, für den J. und W. verantwortlich zeichnen. Da wir nicht mehr auf die von J. hergestellten Produkte zurückgreifen können und J. sich weigert, über sein geheimes Herstellungsrezept Auskunft zu geben, gehen uns nach aktueller Preistabelle 830 000 DM p.a. verloren. Ich halte es daher für angemessen und notwendig, pro Person mindestens 150 000 DM in Rechnung zu stellen, und gehe davon aus, daß eine Entlassung der oben genannten Häftlinge in die BRD nur zu diesen Konditionen erfolgen wird. Mit sozialistischem Gruß …«
    Und ein andermal: »Lieber Genosse Börth, mir ist selbstverständlich bewußt, daß die von mir vorgeschlagene Summe den derzeit üblichen Preis für die Ausreise inhaftierter DDR-Bürger um 70 000 DM überschreitet. Es überrascht mich daher nicht, daß Bonn eine Zahlung in dieser Höhe verweigert. Dennoch bitte ich Dich noch einmal dringend, in diesem Fall keine Kompromisse zuzulassen. Der durch das unverantwortliche Handeln von J. und W. entstandene volkswirtschaftliche Schaden erfordert m.E. unbedingt eine Kompensation und würde im übrigen durch erzielte 300 000 DM bei weitem nicht ersetzt werden. Mit sozialistischem Gruß …«
    *
    Bald nach dem Treffen Willys mit Heinrich Overdamm, ein Mittwoch im Advent, ein Mittwoch wie gewohnt: Das blecherne Weckerrasseln in bestialischer Früh. Das müde Armpatschen am Ausschaltknopf vorbei. Das flüchtige Streicheln der nachtwarmen Haut Veronika Gapps. Der wieder mal nicht getrunkene Kaffee. Das Schlüpfen durch sich schließende, ihn fast

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