Brüder und Schwestern
Genau, wie ein Hund!«
Und wieder Schweigen, aber diesmal aus einem anderen Grund, diesmal, weil alle sich vorstellten, wie der Pole verzweifelt vor dem Rohr ruderte und strampelte, wie er die Luft anhielt, wie er zu schlucken begann, wie er bald nur noch schluckte, wie endlich seine Lungen barsten und er, beziehungsweise sein schon lebloser Körper, mit dem Wasser ins Rohr gesogen wurde, hinein in die dreckigen, fauligen Gedärme der Unterwelt.
»Was hat er gelallt, bevor er gesprungen ist?« fragte Matti schließlich. »Weiß man das?«
»Seine Kumpels sagten, es habe sich angehört wie: den Mond umarmen, ich möchte den Mond umarmen. Stellt euch vor, so’n Blödsinn, den Mond umarmen.«
»Das ist kein Blödsinn«, widersprach Matti nach kurzem Überlegen, »wir haben gerade Vollmond.«
Billerbeck schaute ihn verständnislos an.
»Mann, der spiejelt sich im Wasser, kapito?« half ihm Peter Schott.
Matti aber sagte mit einem ins Nirgendwo gerichteten Blick: »Ein schöner letzter Satz. So elend der Pole gestorben sein mag – so schön ist dieser Satz, den er als letztes gesprochen hat.«
Noch einmal begann ein Schweigen, eines, in dem jeder für sich den Satz auf seine Schönheit hin untersuchte. Dies dauerte. Es war schließlich Lehrling Zehner, der die Stille brach, indem er sich räusperte. Dann gab er eine Geschichte zum besten, die ihm, wie er betonte, selber widerfahren sei, und wie er sie so erzählte, wurde schnell deutlich, daß er den anderen in nichts nachstehen wollte.
»Hört, auch ich bin vor kurzem ins Wasser gefallen und hatte danach so meine Schwierigkeiten. Niemand hat bisher davon erfahren. Es gab für mich keinen Grund, davon zu berichten; und auch heute gibt es eigentlich keinen, außer daß mir gerade so ist. Ja, mir ist in diesem Moment überhaupt nicht bange, damit rauszurücken, obwohl ich, ihr ahnt das schon, nicht gut wegkomme in dem Bericht. Alles geschah auf dem Oder-Havel-Kanal, auf der Talfahrt letzte Woche. Ich sollte den Kanonenofen säubern; Peter hatte am Abend zuvor eine frisch geschossene Wildente gebraten, aber das nur nebenbei. Ich schütte also die Asche von dem Ofen ins Wasser. Aber ein Teil bleibt wegen eines plötzlichen Windstoßes an der Bordwand kleben. Schmutzig graugesprenkelt sieht die aus. Ich denke mir, wenn das dein Schiffsführer sieht! Ich schnappe mir einen Schrubber, steige über die Reling, halte mich mit einer Hand an der fest und schrubbe mit der anderen die Bordwand. Und während ich so schrubbe … während ich so schrubbe … sehe ich am Ufer was, das mir buchstäblich den Atem verschlägt. Da steht nämlich eine Frau, die kaum was anhat. Ihr Körper sieht von der Entfernung aus wie geschuppt, aber nicht unten, wie bei einer Meerjungfrau, sondern oben. Und sie winkt mich zu sich heran, sie winkt mich zu sich heran! Ich weiß nicht, ob’s dieses Winken war oder der Hitzeschweiß auf meiner Hand, ich weiß nicht, ob ich absichtlich die Reling losgelassen habe oder ob ich abgerutscht bin, Fakt ist, plötzlich finde ich mich im Wasser wieder. Und da ich schon mal drin bin, folge ich der Aufforderung der Meerjungfrau und schwimme zu ihr hin. Wie ich über die dicken Klamotten, die am Ufer liegen, zu ihr raussteige, kommt sie mir schon entgegen und reicht mir die Hand. Da sehe ich, was die Schuppen an ihrem Oberkörper in Wirklichkeit sind. Das ist ein einfaches silbernes Einkaufsnetz, stellt euch vor, sie hat sich so ein Netz über ihren nackten Körper geworfen. Was soll ich weiter sagen? Das Netz ist äußerst engmaschig, und es liegt auch außerordentlich eng an. Seine Griffe umgürten ihre feinen Schultern. Sie mustert mich eingehend, und während sie das tut, fährt sie mit ihren Daumen unter die Griffe und spannt das Netz noch mehr. Es schneidet in ihre Brüste, und je mehr es schneidet, um so mehr schieben sich die Brustwarzen raus, zwischen das Netz durch, die sehen aus wie halb gelutschte Lollipops. Auf einmal sagt sie: ›Da passen auch zwei rein, glaubst du nicht?‹ Ich nicke. Das alles kommt mir vor wie ein Traum. Aber noch einmal, es geschieht am Oder-Havel-Kanal, ich erinnere mich sogar, an welchem Kilometer, denn gleich neben uns befand sich der Markierungsstein, Kilometer 72. Ich nicke ihr zu, aber ich habe keine Ahnung, wie ich noch in das Netz reinpassen soll, ich habe sie nicht ganz verstanden. Da streckt sie sich ebenso wortlos wie anmutig nieder, spreizt die Beine und zeigt mir, wo ich reinpasse … Ich spare mir nun jede
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