Brüder und Schwestern
Quetzalcoatl hingen bei ihnen an vielen Gebäuden. In Afrika dagegen wird noch heute nach Berichten von Ozeanfahrern tagelang für den Regen getanzt. Erwähnen wollen wir noch den Tau. Auch er enthält Tropfen. Er wird aber nicht Regen genannt, da er auf Dingen auf der Erde und nicht in den Wolken in der Luft gebildet wird.
Nachdem ich einige dieser Texte gelesen hatte, beschlich mich abermals das Gefühl, etwas passe hier, wie schon beim Format, nicht zusammen. Es war ein allgemeiner Eindruck, und ich fragte mich, worauf er gründe. Ich las noch einige Texte und erkannte, daß die einzelnen Sätze einfach und verständlich geschrieben waren und trotzdem jede Menge steife und gar verquere Formulierungen enthielten. Und das Steife und Verquere fiel um so mehr auf, da es ja Teil des Klaren und Einfachen war – so wie dreckige Finger eher bei dem auffallen, der in sauberen Leinen daherkommt, als bei einem dreckig Gekleideten. Hatten sich hier vielleicht zwei Verfasser um einen Text bemüht? Und wenn ja, hatten sie sich sogar gegenseitig ins Handwerk gepfuscht? Meine Neugierde war geweckt. Ich untersuchte Satz für Satz das Stück über die Bienen, wobei ich alle mir unpassend scheinenden Wendungen anstrich und durch geeignetere ersetzte; auf diese Weise hoffte ich, irgendein Muster zu entdecken, nach dem hier vorgegangen worden war. »In den Völkern leben weibliche Bienen«: Es ist der Stock, in dem sie leben. »Weiterhin lebt dort eine Anzahl nichtweiblicher Bienen«: Nicht weiterhin, sondern außerdem oder darüber hinaus, aber das ist marginal. Wichtiger, daß nichtweibliche ja doch wohl männliche Bienen sind. »Die Zahl der von ihr gelegten Eier beträgt etwa 1000«: Sie legt etwa 1000, das wäre doch ohne Zweifel griffiger. »Nach einigen Tagen kriechen Larven hervor«: Sie schlüpfen, das Kriechen kommt erst später. »Dann fliegen alle zu den Blüten der blühenden Pflanzen und bringen von dort den Nektar in die Waben«: Blühende Pflanzen sind in diesem Fall Blumen, und der Nektar, der wird gesammelt. »Wir gewinnen davon Honig«? Daraus, Herrschaften, daraus! »Bienenweibchen tragen einen Dorn voller Gift«? Ein giftiger Stachel ist das, ein Stachel, und der dringt nicht in die Haut, so wie ein Einbrecher in ein Haus dringt, sondern wird von den Bienen da hineingestochen, sie stechen, die Bienen, nicht wahr, und natürlich »verlieren« sie nach dem Stich, den sie gesetzt, »ihr Leben«, aber wie wär’s damit, einfach zu sagen, sie sterben, hm, ist es denn so schwer, das Wort Sterben zu finden, Herrschaften, ist das wirklich so schwer?
Ich steigerte mich in einen wahren Korrekturrausch hinein und verbesserte, getrieben von maßlosem, sich immer weiter verstärkendem Ärger über das Gedruckte, wohl nicht weniger als die Hälfte aller in der Fibel befindlichen Stücke, ehe ich erschöpft einhielt und mich meines eigentlichen Vorhabens besann. Ließ sich ein Muster entdecken, eine bestimmte Mechanik? Ich verglich ursprüngliche und neue Wendungen und fand nichts. Ich verglich noch einmal, wieder nichts. Endlich gab ich auf. Wahrscheinlich war hier schlicht und einfach gedankenlos und in allzu großer Eile gearbeitet worden. Ich kleidete mich an und unternahm, um mich von diesem aufreibenden Tag mit all seinen düsteren Ereignissen zu erholen, einen Spaziergang durch die Stadt. Ich ging vorbei an korpulenten Wäscherinnen, die sich an Trögen zu schaffen machten, verweilte bei spillrigen Gauklern mit geweißten Gesichtern, wich den uniformierten Männern des Obersten aus, deren eisenbeschlagene, bespornte Stiefel auf dem krummen Pflaster klirrten. Ich dachte nicht mehr an das Geschriebene, oder meinte, nicht mehr daran zu denken. Plötzlich aber, wie aus dem Nichts, stand das Muster, über das ich so lange vergeblich nachgesonnen, vor meinen Augen. Man wollte nicht das Wort Sterben verwenden! Und nicht den Stachel, und nicht die Blume, und nicht die männliche Biene! Man hatte alles getan, um bestimmte Wörter zu vermeiden, und darüber, genau darüber waren die Stücke so holprig geworden! Aber was waren das für Wörter? Gab es eine Verbindung zwischen ihnen? Ich bahnte mir einen Weg durch das Menschengewühl, das in dieser frühen Abendstunde fast undurchdringlich war, und eilte nach Hause. Dort erstellte ich eine Liste der auf der Hand liegenden, aber nicht benutzten Wörter. Und, stimmte meine Vermutung, waren sie durch irgend etwas geeint? Aber ja! Alle, das erschloß sich mir nach einiger Zeit,
Weitere Kostenlose Bücher