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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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wollte, ein Bein gegen das Holz gestemmt hat. Es war glitschig, das Holz, denn Regen war gefallen, der Mann ist plötzlich abgerutscht, und unter dem sich zusammenziehenden Seil ist ihm sein Bein geknickt worden, als wäre es ein Streichholz. Und nicht nur geknickt! Ratzfatz abgetrennt worden ist es ihm, und dann ist es ins Wasser geplumpst wie ein dicker morscher Ast, ich wiederhole, das ist die Wahrheit, ich habe alles selber beobachtet. Aber genug, fahren wir hinein in das Schiffshebewerk! Wir sind oben, muß ich noch anfügen, wir befinden uns auf Talfahrt, und der Trog, in den wir uns schieben, dieser gigantische Bottich wird sich mit uns über 30 Meter senken. Am Anfang sieht man, wenn man seinen Kopf hebt, den von Stahl gerahmten Himmel. Wie die Decke eines weiträumigen und hochwändigen Zimmers kommt der einem vor. Und was geschieht an dieser Decke? Wegen der rapide untergehenden Sonne kriegt sie im Handumdrehn eine neue Farbe, eben noch war sie blau, jetzt kannst du zusehen, wie lauter Rot da hineingeschossen wird, eine wahre Injektion. Im Verlaufe des Herunterfahrens aber wird dieser Ausschnitt immer kleiner und unwichtiger – kleiner, weil er unwichtiger wird? Wahrscheinlich. Zu beiden Seiten hast du nun nämlich was viel Fesselnderes, du hast gigantische Stahlplatten, überdimensionale Tresortüren, die als Gegengewichte dienen. Unwillkürlich denkst du, oder denke ich, ja wirklich, selbst nach Dutzenden Hebungen und Senkungen denke ich es noch: wenn hier ein Seil reißt, wenn so eine Platte mal herabstürzt … Mir wird mulmig im Magen, und ich gucke lieber nach vorn, wo langsam die Erde ins Blickfeld kommt, als erstes die mit dichten Mistelbäuschen übersäten Bäume, sie sind so trockengesogen von den Misteln, daß sie beinahe schon tot sind, aber mit diesen Kanonenkugeln auf ihren Astgabeln sehen sie viel interessanter aus als all die lebenden Bäume um sie herum. Weiter in der Ferne ein paar Häuser, wahllos verstreut und winzig wie Kuchenkrümel. Du rutschst aus dem Trog, läßt das Schiffshebewerk hinter dir, blickst dich da, wo der Fluß die erste Biegung macht, nochmal um und siehst schon nur noch den oberen Teil des Baus, eine schwarze Plattform, die den tiefroten feurigen Himmel nach oben zu drücken scheint, eine Landebasis ideal für Ufos …«
    Matti glitt aus seiner Erzählung, und Catherine sagte mit schwerer Zunge: »Ich sehe alles vor mir, jedes Detail ist in meinem Kopf, aber zugleich ist alles sehr weit weg. Es schwimmt davon … wie in Watte … lautlos hast du erzählt … ich glaube, ich möchte jetzt schlafen.«
    Catherine fragte nicht, ob sie den Abend mir nichts dir nichts beenden dürfe, sondern schob sich mit behäbiger Zielgerichtetheit unter die Bettdecke am Ofen. Weder unterzog sie sich der Mühe, sich ihres Kleides zu entledigen, noch würdigte sie die auf dem Tisch stehenden dreckigen Teller eines Blickes. »Laß doch«, sagte sie, als Matti sich daranmachte, das Geschirr wegzuräumen. Er fand es sinnlos, ihr angesichts der nebligen Verfassung, in der sie war, zu widersprechen; er zog sich aus und schlüpfte zu ihr. Catherine quittierte es mit einem langsamen Schließen und Wieder-Öffnen und Wieder-Schließen ihrer Lider. Matti sagte, sie solle ruhig schlafen, sie habe die ganzen Tage hart arbeiten müssen und er nicht, da schloß sie fester die Augen. Er wurde aber selber gar nicht richtig still. Schlafen, schnell einschlafen solle sie, fuhr er fort, er werde ihr auch helfen dabei, ein wenig nur, so daß sie’s gar nicht merke, sie möge nichts tun, möge einfach nur weiter einschlafen, während er noch ein bißchen was anstelle, o ja, sie solle sich nicht drum scheren, was er tue, überhaupt nicht um ihn, er sei gar nicht da, und falls doch, so bilde sie sich’s nur ein.
    Die Einbildung, oder was das war ziemlich prall in ihr drin, machte Catherine lächeln; und Matti sorgte noch eine kleine Weile dafür, daß Catherine nicht aufhörte damit, denn wie sie so vor sich hin lächelte mitten im Schlaf, das schaute er sich, aus allernächster Nähe, doch wirklich gerne an.
    *
    Um diese Zeit, weit nach Mitternacht, war auch Willy noch wach. Er setzte tatsächlich sein Vorhaben um und las Mattis Manuskript. Schon den ganzen Abend war er damit beschäftigt gewesen.
    Am Anfang hatte er, der im Bücherlesen Ungeübte, vergeblich versucht, sich in das Geschriebene zu versenken. Alle fünf Minuten war er aufgesprungen, um etwas zu erledigen, das ihm in diesem Moment äußerst

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