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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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lebte noch eine mir ewig scheinende Weile. Bis wann? Bis zu dem Moment, da das ganze Gestell in den lodernden Flammen umstürzte und ihm dadurch das Genick gebrochen wurde.« Ich machte eine Pause, bemerkte bei Antonio einen Anflug von Schauder. Und sogleich nahm ich den Faden wieder auf: »Das war aber kein normaler Tod, Antonio. Auch der Tod der Katze hier in dieser Zelle war nicht normal. Beide Tode waren nicht normal und nicht rechtens, und warum nicht? Weil Fremde ihn herbeigeführt haben. Mörder nennt man sie, Mörder. Ich war das im Falle der Katze, der Mächtige war es im Falle deiner Eltern. Was ist dann aber rechtens und normal, wirst du vielleicht fragen. Was ist kein Mord? Das will ich dir sagen, mein Junge. Wenn die Natur den Tod herbeiführt. Wenn jemand von selber und für immer seine Augen schließt, weil er alt ist oder krank. Schau auf Gomus, da, schau, der Gomus. Er hat seine Augen geschlossen, er schläft, nicht? Würde er nun nicht mehr aufwachen, wäre er tot. Du mußt es dir so vorstellen: Wenn der Mensch abends einschläft und morgens wieder aufwacht, dann ist eine Nacht in seinem Leben um, aber wenn er einschläft und nicht wieder aufwacht, dann ist es sein gesamtes Leben, das um ist.«
    In diesem Moment wurde die schwere Eisentür aufgeschlossen, es klirrte und quietschte, und Gomus schreckte hoch. Er schüttelte sich einige Sekunden wie ein naßgespritzter Kater. Währenddessen brachten die Wachen die obligate weiße Tischdecke sowie Geschirr und Besteck herein. Schon Mittagszeit, mit Enttäuschung nahm ich es zur Kenntnis, denn nun war die vielleicht einmalige, die bestimmt nicht so bald sich wiederholende Stunde der Offenheit vorbei, und ich mußte die Zelle verlassen. Vieles hätte ich Antonio noch erklären mögen. Andererseits hatte er doch schon einiges erfahren. Und so schaute er auch. Er schien völlig versunken in das Gehörte, schien nicht einmal zu bemerken, daß unmittelbar vor ihm aufgedeckt wurde. Da ich befürchtete, er wäre in diesem somnambulen Zustand fähig, mir eine weitere Frage zu stellen, eine, die uns vor Gomus verraten würde, klopfte ich rasch auf die Fibel und rief fröhlich: »Und morgen beschäftigen wir uns mit der nächsten Seite, einverstanden, Antonio?« Er starrte mich benommen an, ich nickte ihm mit vorgerecktem Hals zu. Da beeilte er sich, gleichfalls zu nicken, der kluge Junge der.
    *
    Als ich mich am Abend, erwacht aus einem langen Schlaf, in den ich gleich nach meiner Ankunft von der Insel gefallen war, aufmachte, die nächsten verschandelten Kapitel umzuschreiben, vermißte ich auf meinem Sekretär das faustgroße Leimfäßchen zum Aufkleben des Papiers, das mir der Schuster Tsiran überlassen hatte. Ich war mir sicher, es am Morgen neben Tinte und Feder plaziert zu haben. Aber war ich nicht völlig übernächtigt gewesen? Wer weiß, wo ich es in Wahrheit hingestellt hatte. Ich ließ meinen Blick durch das Zimmer schweifen, vermochte jedoch das Fäßchen auch jetzt nicht zu entdecken. Nun, unwichtig, ich mußte doch erst einmal schreiben, ich mußte das nächste Stück, eines über Arabien, umgestalten, ich begann es zu lesen. Indes überkam mich schon nach dem ersten Satz ein derartiger Widerwille, daß ich aufsprang, mir meinen Umhang über die Schultern warf und zu Tsiran ging, um mir neuen Leim zu holen.
    Dieser Tsiran war ein Kerl, mit dem man immer einen hübschen Schwatz halten konnte; jetzt allerdings, da ich mich nur zu gern von ihm hätte aufhalten lassen, war er damit beschäftigt, einem ungeduldig wartenden Offizier ein Paar Stiefel zu beschlagen. Ich nahm das neue Fäßchen und trollte mich. Und nun? Wie insgeheim befürchtet, stand mir auf der Gasse jenes vorgegebene Kapitel sofort wieder wie eine Wand vor Augen. Ich wollte nicht näher da heran, ich wollte nicht gleich wieder nach Hause an den Schreibtisch, so setzte ich mich auf den marmornen Rand eines Brunnens. Ich schöpfte Wasser und spritzte es mir ins Gesicht, auch streckte ich die Füße in den Brunnen. Frische strömte durch meinen wie ausgedörrten Körper. Ich legte den Kopf in den Nacken, und in dieser Sekunde der Erholung kam mir die Idee, völlig neue Stücke für Antonio zu verfassen. Aber ja, warum quälte ich mich so? Wie statisch und leblos war das Ergebnis meiner Qualen, und wie einfach und überzeugend war mein Einfall. Ich sann darüber nach, warum er mir nicht gleich gekommen war, und begriff bald, die Ursache konnte nur in meiner unterschwelligen Hörigkeit

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