Brüder und Schwestern
ohne daß Meta auch nur einen Ton gesagt hätte, wie ein Idiot da. »Aber was hast du denn?« lautete immer, und folglich auch diesmal, seine erste Frage. Und Meta schaut nur so. »Ist etwas nicht in Ordnung?« Und Meta schaut. »Du brauchst doch eine Amme, oder nicht?« Und sie schaut. »Es ergab sich, manchmal gilt es, sich schnell zu entscheiden, das ist dir nicht fremd?« Und sie schaut bis in seine Eingeweide hinein. »Ach, ich hätte dich fragen sollen, ja?« Noch nicht die Zeit für sie, ihren Blick von seinem geschundenen Körper zu nehmen. »Herrgott, nun meinetwegen, vielleicht wolltest du die Amme selber auswählen, ist es das?« Meta mag etwas noch viel Weitreichenderes hören, und Salo weiß doch längst, was es ist, mühsam stößt er hervor: »Sag bloß, ich soll ihr absagen? Nur weil ich dich zuvor nicht fragte? Nun, bitteschön, wie du willst, ich bestelle sie ab, aber eins sollst du wissen, nie wieder werde ich auch nur einen Finger …« Worauf nun endlich, endlich auch Meta etwas verlauten läßt: »Du bist ein solcher Tölpel, Salo, also wirklich.«
Wenn der Mensch nur alt genug ist, kann er, ohne sich zum Gespött der Leute zu machen, leicht offenbaren, wen er einst heimlich, still und leise geliebt hat, denn sein Greisentum schützt ihn, und die Nachsicht und das Wohlwollen aller sind ihm gewiß. Daher: Ich, Karandasch, liebte diese Meta. Ich vergötterte sie geradezu. An Salos Stelle hätte ich ihr zu Füßen gelegen. »Nie und nie«, um ihre eigenen Worte zu gebrauchen, hätte ich etwas hinter ihrem Rücken unternommen, jedenfalls bilde ich mir das ein. Und noch etwas bilde ich mir ein: daß ich kein liederlicher, geschwätziger Alter bin. Ich kann das Wasser noch halten. Entleere ich mich, dann mit Bedacht. Umstandslos hätte ich auf mein jetziges Geständnis verzichtet, wenn es – sein einziger Wert – mich nicht zurückführen würde zu Antonio. Ach, Antonio, Sohn Metas! Als er ins Bild gesetzt zu werden wünschte über den seltsamen Weg des Taschentuchs, da schaute er das erste Mal genauso wie sie in ihren eindrucksvollsten Momenten, da ließ er mich mehr denn je spüren, daß er von ihrem Blute war. Und plötzlich sah ich mich außerstande, ihn zu hintergehen, obwohl doch genau das um unserer Sicherheit willen angeraten gewesen wäre; plötzlich war es mir unmöglich, noch einmal eine Frage von ihm mit Lügen zu beantworten. Er hatte mich in der Hand? Nicht er, Meta. Ihr schenkte ich, zum Entsetzen Vestis’, im folgenden reinen Wein ein, ihretwegen verhielt ich mich unklug, und das war zunächst ausgesprochen schön, eine Wohltat, eine Herrlichkeit, ein Segen.
*
»Warum der Schnupfenlappen in dem Rohr steckt? Das will ich dir erklären. Übrigens sagen wir Taschentuch dazu, weil es gewöhnlich in der Rocktasche aufbewahrt wird, aber sei’s drum, bleibe du nur bei Schnupfenlappen. Wir haben das Taschentuch dort hineingestopft, damit es die Töne aufhält, die wir sprechen. Sie dürfen auf keinen Fall durch das Rohr fliegen, Antonio, müssen wir doch davon ausgehen …«
Ehe ich weiterreden konnte, stürzte Vestis zu mir und flüsterte mir ins Ohr: »Herr Magister, bedenken Sie, er ist noch ein Kind. Wissen wir, ob er alles, was Sie ihm allem Anschein nach enthüllen wollen, auch richtig versteht? Es könnte ihn völlig überfordern.«
Inmitten meiner Hinwendung zu Meta empfand ich diesen Einwurf als Störung. Außerdem sagte mir mein Gefühl, Antonio werde schon alles richtig verstehen. Und drittens fand ich es ungehörig, vor ihm zu flüstern. Wenn ihn etwas irritieren mußte, dann ja wohl diese Geheimniskrämerei seiner Vertrauten. »Vestis«, forderte ich infolgedessen, »sprich bitte von nun an so laut, daß auch Antonio es verstehen kann. Hör nur, wie Gomus schnarcht. Wir müssen also nicht flüstern. Wir drei Freunde, wir sind doch jetzt unter uns.«
Nun war es Vestis, der mich anblickte, als hätte ich ihm gegenüber einen Vertrauensbruch begangen. Und wahrhaft war er, der mich zuvor nur mit den besten Absichten unterbrochen hatte, von mir vor dem Jungen bloßgestellt worden. Aber Derartiges geschieht. Manchmal muß man einen vor den Kopf stoßen, um nicht einen anderen, Verletzlicheren, zu malträtieren. »Wir drei«, setzte ich, zu Antonio gewandt, fort, »wir sollten nämlich davon ausgehen, daß am anderen Ende jemand sitzt, der gern hören mag, was wir so reden. Und weißt du, was er erfahren würde, wenn wir keine Tuchbarriere zwischen ihm und uns errichtet
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