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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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vielen Jahre seiner Tätigkeit im »Aufbruch« überblicke, dann fiele ihm sicher manches Versäumnis und manche Halbherzigkeit ein – aber es falle ihm niemand ein, dem er Schaden zugefügt habe, niemand außer Kalus. Das Manuskript sei natürlich das Manuskript. Aber es sei auch ein verklausulierter, zugegebenermaßen ein sehr verklausulierter Hinweis darauf, daß er selber doch auch einiges richtig gemacht habe in seinem Leben, denn nur wer einiges richtig gemacht habe, der könne solch einen Text seines Sohnes vorweisen. Mit anderen Worten, er, Willy, habe sich dank des Geschriebenen legitimiert gefühlt, Kalus aufzusuchen, durch Kalus wiederum habe er sich eine Legitimierung des Geschriebenen erhofft. Er endete mit den Worten: »Glaub mir, mein Sohn, da hat dein Vater seine Arschbacken aber richtig zusammenkneifen müssen!«
    Catherine, die ja mit Matti in der Zelle stand, sah, wie er auf einmal feuchte Augen kriegte. Es fiel ihm auch schwer zu reden. Sie beugte sich über den Hörer und rief, »hallo, ich bin auch da, Catherine, ich will nur Guten Tag sagen«; sie mochte den Alten, sie fand es durchaus lustig, daß er ihre Mutter Em-El nannte, und wenn sie etwas nicht verstand, dann, warum ihre Mutter immer so harsch darauf reagierte und überhaupt so schmallippig wurde in seiner Gegenwart.
    »Sie hat ihr Examen gemacht, sie möchte sich ihre Glückwünsche abholen«, murmelte Matti, er hielt ihr den Hörer hin, und Willy sagte etwas, das sie sich lächelnd anhörte.
    In der Zwischenzeit hatte sich Matti gefangen. Er erklärte, er müsse, nur der Vollständigkeit halber, noch einmal auf das Manuskript zurückkommen. Ob Willy also mit Kalus vereinbart habe, der solle es, sofern er es für gut befände, an »Westenend« schicken?
    Nein, das sei nicht ausgemacht gewesen, er höre jetzt selber zum ersten Mal davon, daß es dort gelandet sei, Kalus habe eigenmächtig gehandelt – aber letztlich, letztlich doch in Mattis Sinne, oder?
    Matti bejahte. Seltsamerweise hatte er einen Moment später den Hradschin vor Augen, er war wohl immer noch recht verwirrt.
    *
    In Prag war es schwül und heiß. Ein quarzweißer, wie gewalzter Himmel drückte auf die Stadt. Schlaff und ergeben lag die Moldau in ihrem Bett, schwitzend und dampfend wölbten sich die Pflastersteine, und von den Hauswänden in den schmalen Gassen lösten sich Farbreste, dreckige ockerfarbene Splitter.
    Mit den glatten Sohlen seiner Jesuslatschen rutschte Matti immer wieder von den Steinbuckeln der Altststadtstraßen, die Schnallen schnitten dann jedesmal in seine Haut, aber beides, das Rutschen und das Schneiden, störte ihn nicht, er nahm die Vorgänge zur Kenntnis und litt nicht den geringsten Schmerz. Erst recht nicht schalt er sich, am Bahnhof aufs Einsteigen in die Straßenbahn verzichtet zu haben. Er war mit Karin Werth um 12 Uhr im »Interconti« verabredet, also würde er um 12 Uhr im »Interconti« sein, keinesfalls früher, denn früher da zu stehen, hieße, auf sie zu warten.
    Jetzt sah er das Hotel, wie eine Mauer stand es vor dem sanft geschwungenen Fluß. Es war heller und neuer als alle Gebäude, die Matti passiert hatte, und war trotzdem häßlicher. Karin Werth sitze da drinnen im Foyer, vermutete er; sie hatte ihm ja geschrieben, ihr Flugzeug lande viel früher, als sein Zug ankomme.
    Indes tauchte sie gerade in dem Moment, da er über den Vorplatz ging, seitlich des Hotels auf. Als sie ihn sah, blieb sie ruckartig stehen. Und ebenso ruckartig setzte sie sich wieder in Bewegung, ihre Haare stoben auf und flogen ihr hinterher.
    In der Zeit, die sie brauchte, um zu ihm zu gelangen, erfaßte er, was sie trug. Das war zum einen eine kimonolange weiße Bluse und zum anderen eine dunkelgrüne, weit sitzende Leinenhose. Dunkelgrün waren auch die daumendicken Reifen, die über ihren Handgelenken schlenkerten. Das alles wirkte ebenso lässig wie gediegen; aber weil sie früher enge Sachen bevorzugt hatte, Himmel, was waren das für atemberaubende Sachen gewesen, wirkte es auch abweisend. Als ob sie ihren Körper verbergen wollte.
    Und noch etwas kam bei näherer Betrachtung hinzu, das war Karin Werths festes, wehrhaftes Gesicht. Und so fest und wehrhaft sah es aus, weil eine kupferne Bräune darauf lag, eine dunkle, in irgendeinem fernen Land geschmiedete Maske.
    Weil Karin Werth sich ihm um so fremder zeigte, je mehr sie auf ihn zuging, kriegte Matti ein taubes Gefühl. In den Tagen zuvor hatte er sich des öfteren vorzustellen versucht, wie

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