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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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als Unrecht empfinden? Was für eine Frage. Schon im Fahrstuhl muß sie so empfunden haben. Und trotzdem hat sie sich nichts anmerken lassen und ist in ihrer Vorfreude geblieben, vielleicht, weil sie gehofft hat, auch ich fände da hinein. Vergeblich gehofft; ich sollte mich bei ihr entschuldigen, was? Doch, ich sollte ihr mein Gebaren erklären, und außerdem, wenn ich das tue, wenn sie erst einmal Bescheid weiß – dann wird auch sie sich mir wegen damals erklären. Sie muß! Und wenn sie schweigt wie früher? Dann habe ich sie überschätzt. Dann ist sie’s nicht wert gewesen. Wie auch immer, ich werd’s sehen, alles muß und wird sich herausstellen, noch bevor wir zu arbeiten beginnen, jetzt gleich.«
    Er klopfte bei Karin Werth und sagte: »Ich dachte, ich hole dich ab. Wir müssen erstmal reden, habe ich gemerkt – nicht über das Manuskript.«
    Karin Werth musterte ihn zwei oder drei Sekunden, drehte sich dann wortlos um, ließ ihn vor der Tür stehen. Sie stopfte einen Papierpacken in ihre Umhängetasche, trat ebenso wortlos wieder heraus und lief voran zum Fahrstuhl. Dort drinnen blieb sie weiter stumm. Und je länger das so ging, um so bittender und entschuldigender schaute Matti sie an. Aber was er damit provozierte, das schien ihm nur Ablehnung zu sein. Hatte Karin Werth nicht eben noch frei im Lift gestanden, und drückte sie jetzt nicht ihre Schultern und ihren Hinterkopf an die Holzvertäfelung?
    Als sie das Hotel verließen, fühlten sie sich wie von glühenden Händen geohrfeigt. »Was für eine Hitze«, stöhnte Matti, »vielleicht gehen wir erstmal runter zum Fluß?«
    »Da ist kein Schatten. Und der Fluß ist aus Blei. Aber die Wohnung liegt an einem kleinen baumbestandenen Platz, da kann man es aushalten.« Und schon setzte sich Karin Werth, auf Matti kaum achtend, in Bewegung.
    Er sprang ihr hinterher, schloß auf, aber sie tat, als ginge sie alleine, so gelangten sie an den Platz.
    Karin Werth zeigte förmlich auf eine Bank unter einem Vogelbeerbaum, dem von der giftigen Sonne das Grün weggeätzt worden war. Sie wartete, bis Matti sich gesetzt hatte, und folgte ihm auf die Bank, wobei sie einigen Abstand zwischen ihnen ließ. Alles an ihr drückte Unwillen aus, als sie sagte: »Dann leg los, ich höre.«
    »Ja«, sagte er zögernd, »wir können doch das Wichtigste nicht umgehen. Du … du kannst das vielleicht, aber ich nicht. Erinnerst du dich? Nicht alles zerreden, hast du damals am Stausee gesagt, und das ist richtig, nicht alles zerreden. Aber über alles schweigen geht auch nicht. Es wühlt den auf, der nichts weiß, immer weiter arbeitet es in dem. Von uns beiden bin ich derjenige. Der Unwissende. Ich war vorhin so wütend auf dich, hast du gemerkt? Und ich war deshalb wütend, weil du so getan hast, als stünde nichts zwischen uns. Frohgemut bist du dahergekommen, schweigsam frohgemut, trotz der gesprochenen Worte ausweichend. So ist es. Du bist mir damals ausgewichen, du hast mir damals nichts erklärt, und jetzt sehen wir uns wieder, und es läuft auf das gleiche hinaus. Jedenfalls ist das mein Eindruck.«
    Matti hatte vorsichtig gesprochen, doch Karin Werths Gesichtsausdruck war unterdessen immer finsterer geworden. Geradeaus blickend, erklärte sie: »Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig, keine!« Und das war schon alles.
    Hilflos sagte er: »Wenn du das Rechenschaft nennst …«
    Karin Werth drehte sich mit einem Ruck zu ihm und stieß hervor: »Ja, ich nenne es Rechenschaft, was du da forderst.« Und wieder verstummte sie.
    Matti, der offensichtlich nicht mit einem solchen Ausbruch und einer solchen Abwehr gerechnet hatte, mußte den Blick abwenden. Er sah zu Boden wie ein zur Ordnung gerufener Schüler. Und zum Boden hin, wo ein paar Vogelbeeren lagen, die er mit der Fußspitze fortstieß, fragte er: »Warum hast du mich erst verrückt gemacht, obwohl du schon genau gewußt hast, du würdest flüchten? Nur das will ich wissen. Das ist doch wohl keine Rechenschaft, das kannst du doch nicht behaupten.«
    Während er die letzten Worte sprach, traute er sich, Karin Werth wieder anzusehen. Aber was war das, nicht mehr zornig erschien sie ihm auf einmal, sondern matt, so ähnlich, wie sie am Stausee gewesen war, das erstaunte ihn noch mehr als ihr Ausbruch zuvor. Man wurde und wurde nicht schlau aus ihr.
    »Davor hatte ich Angst …« Sie öffnete den Mund, als wolle sie noch etwas folgen lassen, doch sie schwieg.
    »Wovor?«
    »Vor der Frage, die du mir eben gestellt

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