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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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hast.«
    »Die nach dem Verrücktmachen? Aber warum? Ist denn die Antwort so schlimm?« Matti fragte so behutsam wie möglich, aber gleichzeitig roch er begierig den Schweiß und die Angst, das, was Karin Werth jetzt verströmte.
    »Ich kenne die Antwort nicht. Ich habe nicht darüber nachgedacht. Ich habe das immer vermieden. Ich habe mich geradezu geweigert, das zu tun. Und sowieso – habe ich kein Konzept für dieses Gespräch hier.«
    »Was?« entfuhr es Matti.
    »Ich habe kein Konzept.« Karin Werth betonte jedes einzelne Wort.
    Er brauchte eine Weile, um zu begreifen, was sie ihm da hinterbracht hatte. Er starrte sie an, und wie er das so tat, begann ein seltsamer Stoffwechsel, ihre Kupferlegierung veränderte zusehends die Farbe, aus bräunlich wurde bläßlich, wenn dieser Prozeß anhielt, würde am Ende noch Porzellan draus.
    Matti nutzte die Entscheidungshoheit, die plötzlich bei ihm lag, zur Wiederholung seiner Frage: »Es bleibt dabei, du hast mich verrückt gemacht an deinen letzten Tagen, warum? Versuche doch, es zu sagen. So schwer kann es ja wohl nicht sein.«
    Karin Werth lachte übertrieben auf. »Sicher ist alles ganz leicht erklärbar, sicher. Du hattest es mir angetan. Sogar erheblich hattest du es mir angetan. Das ist die einfache Antwort.« Sie schaute ihn gebannt an: Ob er begriff, daß sie nur Anlauf genommen hatte, um in die komplizierte Antwort zu gelangen.
    Matti wartete reglos, und sie begann, Sicheres und Ungewisses, Unschuldiges und Verderbtes vor ihm auszubreiten, und je länger sie sprach, um so klarer wurde ihm, daß sie selber tatsächlich erst während des Sprechens zu alldem vordrang, zunächst mit Mühe und dann wie von selbst: »Du hattest es mir angetan, das ist die Wahrheit. Ach, angetan, was für ein schäbiges Wort! Ich war verliebt in dich, glaub es nur, ich habe es selbst auch erst gar nicht geglaubt. Mein Gott, in einen Schüler! Verliebt in deine Ernsthaftigkeit, das habe ich im Café gesagt, stimmt’s? Gottseidank warst du so ernst, mir das aufs Wort zu glauben. Komme einem Ernsthaften ernst – und er wird alles, was du sagst, für bare Münze nehmen, denn ihm fehlt die Gabe, sich auszumalen, daß es gelogen sein könnte. Versteh mich jetzt nicht falsch, denk nicht, ich hätte gelogen. Es ist nur so: Wenn man jemanden will, wird es im Schoß feucht, nicht im Kopf. Auf deinen Körper bin ich zugeschwommen, mit meinem Körper. Insofern bin ich schwach und egoistisch gewesen. Der Fluchtplan war doch schon in Arbeit! Und ich gebe mich einfach meinem Trieb hin, trotz des Wissens, was ich damit anrichten würde bei dir. Natürlich wußte ich es. Die Ernsten können doch nicht vergessen! So ernst und gläubig – ja, das war der schon totzitierte heilige Ernst, das war er wirklich einmal – bist du an mich herangegangen, daß mir gleich klar war, wie sehr du dich noch quälen würdest. Aber das habe ich in Kauf genommen, denk nur, so eigensüchtig war ich. Und doch war ich auch überhaupt nicht eigensüchtig! Ich hatte nämlich die besten und honorigsten Gründe, dich an mich heranzulassen, speziell zu jenem Zeitpunkt. Ich nenne dir den oberflächlichsten dieser Gründe: das Glück des Augenblicks, das du durch mich erfahren hast. Ich war mir vollkommen sicher, daß ich dich glücklich machen würde, ich wollte gehen und dir noch was Schönes hinterlassen, denn wer sollte das sonst auf diese Weise tun? Und wieder folgt jetzt ein: überhaupt nicht wollte ich. Mit deiner Hilfe wollte ich nämlich nicht gehen! Warte, ich versuche, es mir und dir zu erklären. Wie war die Lage in jenen Wochen? Ich war der Menschen wie der Dinge überdrüssig. Überdrüssig war ich eines Mannes aus Erfurt, der mich dauernd zur Heirat drängte. Krümnicks war ich überdrüssig. Der Falschheit und der Verlogenheit an der Schule war ich überdrüssig, und des Drecks und des Verfalls in der Stadt und der vielen stumpfsinnigen Gesichter auf den Straßen. Bald würde ich auch so ein Gesicht haben, das war meine Angst. Ich würde lethargisch werden, wenn ich nicht ginge; du mußt bedenken, ich war allein in Gerberstedt, da war niemand, der mir ein wenig Hoffnung gegeben hätte. Und auf einmal in dem Café gräbst du dich in mich rein, auf einmal bist du da. Ich bin schon beinahe im Abflug, aber in meinem tiefsten Innern wünsche ich mir, du gräbst so, daß ich bleibe. Der eine Mensch, der alles verändert! Der eine, bei dem man alles vergißt! Aber dafür warst du zu jung und zu unerfahren. Jetzt

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