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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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selber nach, und er zwang sich, sie auch zu denken: nichts Wichtiges, nichts Wichtiges.
    Das Gegenteil war der Fall, der Brief erwies sich als bedeutsam, nur auf völlig andere Art, als Matti gefürchtet und erhofft hatte. Seinem Gegenstand gemäß war er sachlich geschrieben. Er erstaunte Matti mehr, als ihn jede verspätete Liebesbezeugung erstaunt hätte, denn Karin Werth sprach darin von seinem Manuskript. Es sei ihr zugeschickt worden, er möge jetzt nicht fragen, von wem, dazu sei Zeit, wenn sie sich sähen, wozu es hoffentlich käme. Natürlich habe sie sein Werk mit besonderem Interesse gelesen. Angesichts des Titels habe sie schon geahnt, worum es sich handle bei dem Text. Sie sei wirklich verblüfft, daß er auf ihr damaliges Thema zurückgekommen sei, und danke ihm sehr, allein für das Schreiben. Aber nur um ihm zu danken, habe sie sich nicht gemeldet. Sie sei angestellt als Lektorin bei »Westenend«, ob er das wisse? Nun, und als Lektorin könne sie sich vorstellen, seinen Roman herauszubringen. Das Manuskript, darum gehe es ihr recht eigentlich in ihrem Brief, sei ein hochinteressantes, und sie, und nicht nur sie, halte einen Abdruck für gerechtfertigt und sogar für notwendig. Selbstredend müsse noch ein wenig daran gefeilt werden, das wolle sie, Karin, mit ihm gemeinsam tun. Da es ihr versagt sei, jemals wieder in die DDR zu reisen, und er wohl kaum in den Westen gelange, schlage sie ein Treffen in Prag vor. Ob er sich drei Tage frei nehmen könne und wolle? In dieser Zeit, so schätze sie, würde es ihnen gelingen, die nötigen Veränderungen an dem Text vorzunehmen. Alles das sei selbstverständlich nur ein Vorschlag. Er müsse ihr nicht einmal antworten; wenn er ihr aber antworte, möge er den Brief ohne Absender Herrn Markus Fresenius, wohnhaft in der Dunckerstraße, übergeben, der ihn dann weiter expedieren werde. Dies sei der sicherste Weg. Auch sie habe, wie ihm vielleicht aufgefallen sei, Vorsicht walten lassen, denn man wolle keine schlafenden Hunde wecken und ihn, Matti, nicht in unnötige Schwierigkeiten stürzen. In diesem Zusammenhang: Sollte er sich »Westenend« verpflichten, wären noch einige Einzelheiten zu besprechen, die das genaue Prozedere der Veröffentlichung beträfen. Aber auch dies könne und müsse in Prag geschehen. Noch einmal, sie hoffe sehr auf eine positive Antwort; vorsorglich schlage sie für ein Treffen die Zeit vom 16. bis 19. Juli vor. Und sie grüße ihn natürlich ganz herzlich bis dahin.
    Matti starrte aus dem gardinenlosen Fenster des Wohnzimmers. Unten luden sich ein paar Kohlenmänner Kiepen auf, die Briketts glänzten in der Sonne wie Aluminium. Zwei Vorschulmädchen riß, nicht hörbar für ihn hier oben, das Gummiband, mit dem sie Hopse gespielt hatten. Ein Mann versuchte mehrmals vergeblich, die Kofferraumklappe seines Trabis zuzuschlagen, an der zunehmenden Lautstärke des hartpappigen Aufpralls und an den zunehmend ruckartigen Armbewegungen des Mannes war seine zunehmende Wut erkennbar. Matti sah verwundert durch das alles hindurch: Also könnte das Verschlossene Kind doch noch veröffentlicht werden. Wer hatte im Hintergrund dafür gesorgt, von wem war Karin Werth das Manuskript zugespielt worden? Und wieso ausgerechnet Karin Werth? Wußte jemand, daß sie ein besonderes Verhältnis zu ihm und dem Thema hatte? Wie auf einmal alles verschmolz, der Ursprung seiner Geschichte und ihre nun mögliche Veröffentlichung, sein Schreiben und Karin Werths Wiederauftauchen.
    Trotz des großartigen Vorschlags fühlte er aber etwas Schales, eine vertraute Bedrückung, einzig und allein der Sachlichkeit wegen, mit der Karin Werth ihren Brief verfaßt hatte. Eigentlich war das ja schon Unpersönlichkeit! Ein Anflug der einstigen rasenden Sehnsucht nach dieser Frau ereilte ihn, und zwanghaft las er alles noch einmal, auf versteckte Zärtlichkeiten und weitergehende Absichten hin, begierig suchte er, aber da war nichts. Wirklich nicht? Karin Werth hatte ihm doch per Hand geschrieben, nicht mit Maschine, und schon gar nicht auf Verlagspapier, war das vielleicht kein Hinweis, war das keiner? Aber daß sie auf solches Papier verzichtet hatte, geschah es nicht aus Sicherheitsgründen? Ha, nur aus Sicherheitsgründen? Wäre Karin Werth ohne verborgene zärtliche Absichten, hätte sie ja wohl ganz formell auf Maschine geschrieben, oder nicht? Oder etwa nicht?
    So schnappte Matti nach den Fragen, die Karin Werth, wissentlich oder nicht, in die Luft gehängt

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