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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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wäre es vielleicht anders, jetzt bist du ein Gegenpol, jawohl, das bist du, ich spüre es. Du wärst bereit, mir die Leviten zu lesen, damals bist du mir nur gefolgt. Es konnte ja auch gar nicht anders sein. Und damit komme ich zum tiefsten tiefsten Innern, ein anderer Ausdruck fällt mir nicht ein. Noch während ich wünschte, du mögest alles umkehren, wußte ich, das konnte nicht geschehen. Darum wurde meine Müdigkeit nur noch verstärkt. Du hast sie bemerkt, die Müdigkeit? Alles war tatsächlich zu Ende, nichts gab es für mich mehr zu tun. Also habe ich nur noch in Empfang genommen. Denk jetzt nicht an deinen Saft. Der Saft wäscht sich aus. Es ging um Dinge, die ich mitnehmen und mir merken konnte. Deine Unverstelltheit, deine Unbedingtheit, darauf ist mein letzter schläfriger Blick gefallen. Du warst so, wie ich nicht mehr sein konnte, du warst der, den ich mir unbedingt einprägen wollte, als Bild. Du solltest mich bewahren vor zuviel Zorn und Haß bei meinen künftigen Blicken zurück. Ich habe dich gebraucht, mehr als du mich, und ich habe dich benutzt, das ist nun aber auch die ganze Wahrheit – glaube ich.«
    Matti, der Karin Werth die ganze Zeit gebannt angesehen hatte, tat das noch eine Weile weiter, endlich sagte er: »Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«
    Sie lachte kurz auf: »Das wüßte ich wahrscheinlich auch nicht.«
    Matti entdeckte ein langes Haar auf ihrem Kimono. Er dachte, wenn ich das jetzt dort wegnehme, landen wir noch im Bett, und wenn ich es dort belasse, werden wir uns niemals mehr berühren. Er konnte aber nicht anders, als das Haar aufzuklauben.
    Karin Werth wohnte dem Vorgang reglos bei. Im Anschluß schaute er sich um, wo sie überhaupt saßen. Drei Straßen liefen auf den Platz zu, der umgeben war von mehr oder minder grauen, fünf- und sechsstöckigen Häusern. Unter den Dächern sah er auf den Fassaden in unregelmäßigen Abständen grünschwarze, sich nach unten hin verjüngende Zungen, aber außer diesen Regenrückständen wiesen die Fassaden da und dort noch andere Abdrücke und auch Wölbungen auf, große gebogene Blumen schienen das zu sein, und zusammengerollte Schlangen, und aufgeplustertes Gefieder. Allen Formen war gemein, daß Stücke und Stückchen aus ihnen gebrochen waren, Blätter, Köpfe, Teile von Stengeln.
    »Das ist alles Jugendstil hier«, staunte Matti.
    »Ist oder war«, bestätigte Karin Werth.
    Sie schwiegen einvernehmlich, dann sagte wieder Matti: »Du hast von Benutzen geredet – aber jetzt, da ich es einmal gehört habe, fühle ich mich kein bißchen benutzt. Außerdem fällt mir ein, wie du damals sagtest, du würdest auf mich bauen. Das habe ich am allerwenigsten verstanden. Aber jetzt begreife ich auch das. Du hast dir damit nur selber zugeredet.«
    »Es war anders«, sagte Karin Werth. »Der Satz galt schon dir. Ein nebulöser Ausdruck irgendeiner Erwartung. Daß du nicht einbrichst. Daß du dich zeigst.«
    »Dann gefällt mir der Satz nicht – im Gegensatz zu allen anderen, die du eben gesagt hast.«
    Karin Werth neigte fragend ihren Kopf.
    »Jetzt hole vielleicht ich was aus der Tiefe hervor, das ist gut, du bist mir nicht mehr fremd, ich kann dir wieder alles sagen. Weißt du, was ich dir sagen muß? Daß du kein Recht hattest, irgendeine Erwartung zu formulieren. Weil du selber doch aufgegeben hattest. Du kannst nicht selber aufgeben und deine verbliebenen Wünsche auf andere übertragen. Das ist verantwortungslos. Ich bin nicht dein Stellvertreter. Sowieso habe ich, wenn ich mich genau befrage, kein Verständnis für die, die einfach gehen – oh, ich weiß, die wenigsten gehen tatsächlich einfach, du hast einiges dazu gesagt. Ich kann das nachvollziehen und verstehe das Fortgehen, aber ich akzeptiere es nicht. Ist denn die Verzweiflung wirklich so groß? Bei dir mag das der Fall gewesen sein. Aber ich maße mir an zu sagen, das gilt für viele nicht. Denn die meisten haben gar keine Gedanken. Beziehungsweise die Gedanken, die sie haben, sind billig und flach. Das bessere Leben, von dem sie reden, was ist denn das? Oder anders gefragt, ist das hier ein schlechtes Leben? Nur weil es ein paar Dinge nicht gibt? Ich hätte sie gern, aber ich brauche sie nicht, und die Menschen, die meinen, sie zu brauchen und sonst nicht leben zu können, verstehe ich nicht. Sie erscheinen mir hohl. Es widert mich an, wie sie da, wo du jetzt bist, gefeiert werden. Sicher, wie sie bin ich der Meinung, daß es hier kein gutes Leben ist, aber meine

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