Brüder und Schwestern
Buch zu den Lesern zu bringen. Ein Kahnfahrer aus der DDR läßt sich von Dostojewski inspirieren und beschreibt allegorisch die Zustände in seinem Land, Matti, eine solche Kombination kann man gar nicht erfinden, was meinst du, wie sie uns in die Hände spielt.«
»Kahnfahrer, allegorisch … das ist das reinste Aufbauschen und Übertreiben.«
»Das ist die Wahrheit. Daran ist nichts falsch.«
»Die ausgestellte Wahrheit ist es, ihr wollt sie mit einem Blinklicht versehen, damit jeder sie auch ja sieht.«
»Wenn wir es nicht täten, würde dein Buch …«
»Dagegen«, unterbrach Matti sie, »spricht noch etwas anderes und viel Wichtigeres; du hast Pech, daß ich so in dich verliebt gewesen bin, dadurch habe ich mir jeden deiner Sätze gemerkt, hör zu: ›Meiner Meinung nach sollte man von einem Autor nur das Werk kennen, denn Persönliches, das man von ihm weiß, lenkt nur ab, führt in die Irre. Verändert schon den Text. Das Werk soll seine einzige Kennzeichnung sein. Nur dann kann man es vorurteilsfrei lesen.‹ Das hast du damals am See gesagt, erinnerst du dich? Du hast mich geprägt damit, du weißt vielleicht gar nicht, wie sehr. Wenn ich nun auch von dir weg bin, ein paar deiner Wahrheiten führe ich mit mir, oder ich werde von ihnen geführt, nicht mehr von dir, aber von deinen Hinterlassenschaften, was sagst du dazu, zu deinen eigenen Worten?«
Sie hatte aufgestöhnt während seiner letzten Sätze, auf eine weiche, nicht auf eine abwehrende Art, jetzt flüsterte sie: »Ich werde den Teufel tun und meine Hinterlassenschaften für falsch erklären, allein schon, weil ich mich dir einmal entziehen mußte. Ich werde dir nichts mehr entziehen. Auch inhaltlich gibt es keinen Grund dafür. Alles, was ich damals gesagt habe, bleibt gültig. Aber gültig bleibt es nur als Sehnsucht, nach dem Motto: So wäre es schön und gut. Aber es wird nicht schön und gut, Matti, ich bin klüger geworden, als ich damals war. Ich weiß, daß wir dein Buch nicht dem Markt aussetzen dürfen – ja, aussetzen nenne ich das, denn ich denke an ein kleines Schiff auf einem ziemlich wilden Meer –, ohne es, wie du selber sagst, mit einem Blinklicht zu versehen.«
Er überlegte, dann sagte er: »Vielleicht ist es ja gar kein Blinklicht, sondern bloß ein Etikett? Du hast recht, man muß aufhören zu schwärmen, man muß nachdenken, und wenn ich nachdenke, dann erkenne ich, daß du mich in eine bestimmte Richtung drängen willst, du hast zarte Hände, deshalb fällt es nicht gleich auf. Du erschwerst das vorurteilsfreie Lesen, das dir damals so wichtig war, du ordnest mich, übrigens die ganze Zeit schon, in eine Art Widerstandsliteratur ein. Das ist das Etikett. Warum pappst du es drauf? Entweder, du traust der literarischen Qualität des Buches doch nicht, oder du mißbrauchst es für einen höheren Zweck. Beides mißfiele mir, das zweite sogar mehr als das erste, denn es wäre genau das Vorgehen, dessen ich so überdrüssig bin. Bis obenhin steht es mir, daß alles Gedruckte einem höheren Zweck dienen soll.«
»Wie kannst du nur so reden! Mißbrauch! Nehmen wir mal an, ein bestimmter Zweck spiele tatsächlich eine Rolle, weil nichts auf der Welt ohne Zweck geschieht, nichts – denk nur an uns beide, wie wir hier getrieben waren von unseren unterschwelligen und verschiedenartigen Absichten –, dann gilt, dein Buch betreffend, aber doch eines: Was der Verlag will, das willst du genauso, oder nicht? Etwas soll aufhören, das ist deine Aussage, und die befördern wir. Nichts an deinem Text wird verbogen. Ich kann dich nur bitten, dich endlich damit vertraut zu machen, was darin steht. Folge der Klugheit deines Buches. Nimm die Rolle an, die dir aus dem erwächst, was du geschrieben hast.«
Er schwieg, und sie insistierte: »Wirst du das tun?«
Er schwieg weiterhin. So langsam vermutete sie, es sei der ihm jetzt mögliche Ausdruck für Zustimmung, sie sagte, »du bist der schwierigste Patient, der mir bislang unter die Finger gekommen ist, das kannst du vielleicht wissen«.
Obwohl er ihr nicht glaubte, und sich auch für gar nicht so schwierig hielt, erfreute er sie mit einem Nicken, jedenfalls war sie der felsenfesten Überzeugung, eines entdeckt zu haben.
Der erhobene Arm
Während man im Westen letzte Vorbereitungen zum Druck seines Buches traf, wurde Matti vom eingefleischten Unioner Peter Schott mehr oder minder sanft gezwungen, ihn endlich ins Stadion zu begleiten.
Schon ein halbes dutzendmal war er ja von Peter
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