Brüder und Schwestern
eingeladen, um nicht zu sagen aufgefordert worden, und jedesmal hatte er sich mit den Worten entzogen, Fußball interessiere ihn nicht; diese kurzen und für beide unerquicklichen Gespräche hatten sich so lange wiederholt, bis ihm von seinem Kompagnon die Pistole auf die Brust gesetzt worden war. »Watt is einklich Freundschaft?« wollte Peter Schott nämlich recht unvermittelt wissen, und ehe Matti dazu etwas Schlaues einfiel, gab er selber die Antwort: »Freundschaft is, wenn sich ein Freund wenigstens ma ankuckt, watt dem andern Freund ditt Wichtigste uffder Welt is. Kann man übrijens ooch umjedreht formuliern: Wenn sich ein Freund ständig weigert, sich ditt Wichtigste von dem andern anzukucken, dann issett vielleicht jakeene Freundschaft, oder watt meenste?« Und er schaute dazu auf recht existentielle Art drein.
Sie trafen sich am Bahnhof Köpenick. Peter trug, wie noch viele andere, die aus den Zügen drängten, Parka und Bergsteigerschuhe. Er schlug Matti so auf den Oberarm, daß eine gewisse Aktionsbereitschaft deutlich wurde. Auch schien er breitbeiniger zu gehen als gewöhnlich. Sein Schritt erinnerte Matti an den des Prager Wirtes, nur daß Peter nach wie vor nicht dick war, sondern sehnig und robust. Während er mit Matti in Richtung Stadion stapfte, entnahm er seinen Parkataschen zwei Pils, und nachdem er, keine hundert Meter weiter, seine Flasche leer getrunken hatte, ließ er sie auf achtlose und nichtsdestotrotz freudvolle Weise fallen und verpaßte ihr einen kräftigen Tritt. Da mancher andere vor und hinter ihnen genauso verfuhr, lag ein wirres Röhren, Scheppern und Splittern über dem Asphalt.
Peter holte noch eine Flasche aus den Tiefen seines Parka und informierte in knappen Worten, es stünde heute »ein eminent wichtijes« Heimspiel an, es gehe gegen den Abstieg, letzteres füge er aber wirklich nur für Matti hinzu: »Ditt is wien weißer Schimmel einklich, weeßte. Ett jeht hier prinzipiell immer jegen den Abstieg – außer wir sind grade abjestiegen.«
Matti bemühte sich, im Gehen endlich auch seine Flasche auszutrinken, das war er nicht gewohnt allerdings, er verschluckte sich, mußte stehenbleiben und husten. Jemand überholte ihn und klopfte ihm dabei generös auf den Rücken: »Is ja jut Mädel, is ja jut.« Matti griente verlegen zu Peter Schott hin, aber der reagierte nicht, der stapfte einfach weiter, so gelangten sie ins Stadion.
Und das Spiel begann, und die ersten Sprechchöre ertönten, oder umgedreht, jedenfalls waren das Rufe, die Matti schon vom »Interhotel« kannte, wo Peter sie losgelassen hatte. Aber nur ein einsamer Schreihals war sein Kumpel dort gewesen, und hier war er einer von Tausenden, die »Ju-nei-tett« brüllten, er verschwand in dieser Masse und wurde größer in ihr, und wogender, und peitschender, Matti spürte die gewaltigen Hiebe, die Peter und alle aufs Spielfeld knallten, sie zuckten links von ihm und rechts von ihm los, und sein eigener Körper, ob er wollte oder nicht, begann, ihnen nachzuzucken.
Plötzlich fiel ein kleiner tropfenförmiger Teil der Menge auf die Barriere zu, die den Rasen von den Rängen trennte. Uniformierte zogen auf, und Matti vernahm einige Rufe, die von der Fußballmannschaft, die hier spielte, doch ein gutes Stück wegführten.
»Eins, zwei, drei, pfui die Polizei«, lautete der erste.
Der zweite wiederholte diese einfachste aller Zahlenfolgen, nicht ohne gewisse Fremdsprachenkenntnisse zu offenbaren: »Ras, dwa, tri, Russkis wern wir nie!«
Der dritte ließ erhebliches Mißfallen an einer menschheitsgeschichtlich noch jungen Gesteinsformation erkennen, in der sowohl die Abdrücke der Russen als auch die der Polizei steckten: »Die Mauer muß weg, die Mauer muß weg!«
Matti, der mit dieser Meinung durchaus konform ging, konnte sich nur wundern, wie direkt und vielstimmig sie hier geäußert wurde. Er knuffte Peter Schott in die Seite, schob die Unterlippe vor und nickte anerkennend, Sprechen nützte ja nichts, es war viel zu laut um sie beide herum.
Peter Schott signalisierte mit einem gebrüllten »watt denn«, sich gestört zu fühlen, dabei wandte er den Blick nicht vom Spielfeld, er hatte wohl ganz vergessen, daß er es gewesen war, der Matti hierher geschleppt hatte, er kam seiner Betreuungspflicht, die doch auch zu einer Freundschaft gehört, gerade gar nicht richtig nach.
Da schaute Matti auch auf das Spielfeld. Die Roten, die vom Publikum Angefeuerten, die Unioner hatten einen Freistoß. Ein paar Meter
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