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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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ihnen statt: »Er hat es nicht anders verdient!« bald nur noch: »Er hat es nicht anders gewollt!«
    Gleich am Morgen nach dem verhängnisvollen Ereignis auf dem Friedhof wurde ihm der erste Streich gespielt. Erik spürte, als er in seine Unterhose schlüpfte, etwas unangenehm Nasses. Und noch etwas spürte er, die lauernden Blicke von Splittig, Katzner und den anderen. Er drehte sich weg, zog die Hose wieder aus, schaute hinein und entdeckte Spuren frischen Spermas. Und solche hatte er, wie er jetzt bemerkte, auch am Gemächt. Es ekelte ihn noch mehr, als es ihn am Tag zuvor geekelt hatte. Wut flammte in ihm auf, verdrängte für einen Moment jede Zaghaftigkeit. Er drehte sich mit einem Ruck herum, sah die höhnisch lächelnden Splittig und Katzner. Er war nahe, wirklich ganz nahe dran, einem von beiden seine klebrige Hose in die schadenfrohe Fratze zu drücken! Wahrscheinlich hätte er erst einmal büßen müssen für einen solch verwegenen Akt des Widerstandes, aber sein Sich-Wehren, es wäre auf Dauer garantiert nicht ohne Eindruck geblieben, gewiß, man wäre ihm fortan wieder vorsichtiger begegnet und vielleicht sogar respektvoll. Aber er tat es dann doch nicht. Er kam sich selbst mit einer Frage in die Quere, der nämlich, ob überhaupt einer von beiden es gewesen war, der ihm in die Hose gespritzt hatte. Konnte man denn da sicher sein? Wer weiß, vielleicht war ja ein ganz anderer der Übeltäter? Dann würde er, Erik, sie zu Unrecht angreifen, mit verheerenden Folgen bestimmt.
    Erik drehte ab und trabte in den Waschraum, um sich und seine Baumwolle zu säubern; und diese Folgsamkeit war es, die dazu führte, daß die Früchtchen um ihn herum, jeweils im Morgengrauen, ihre Besamungsaktion noch das eine oder andere Mal wiederholten – wobei sie sich durchaus flexibel zeigten und sich nicht immer nur die Hose vornahmen. Einmal kleckerten sie in Eriks Fellmütze, und das geschah ganz und gar nicht zufällig an einem jener Tage, an denen er, der ja irgendwie beschäftigt werden mußte, zur »Luftbeobachtung« eingeteilt war, was bedeutete, er würde die bevorstehenden acht Stunden auf einem ungeheizten, nach Pisse stinkenden Betonturm verbringen, um von dort aus, als sei das Radarzeitalter noch nicht angebrochen, den Himmel nach feindlichen Flugobjekten abzusuchen. Und ebenso war es natürlich kein Zufall, daß gerade in jenem Augenblick, da er sich seine Mütze, seine »Bärenvotze« aufgesetzt hatte, der Ixer zur Uniformkontrolle rief, er hatte Erik schon passiert, der Ixer, aber dann hielt er auf einmal inne und schlenderte zurück, die Reihe entlang, und baute sich vor Erik auf. Dessen Gesicht färbte sich sogleich rot. Der Ixer musterte ihn kurz, nahm ihm langsam und genüßlich, als lüfte er den Deckel eines Topfes, in dem ein leckeres Gericht dampft, die Mütze ab, besah sich, scheinbar auf der Suche nach Schmutz, interessiert deren Oberseite, drehte das Teil wie gedankenverloren um, schreckte plötzlich zurück, verkniff mit schlecht gespielter Überraschung die Augen, schnüffelte, schon voller Abscheu, hinein, tauchte entsetzt wieder auf und brüllte: »Sie verdammte Sau, Werchow! Was für eine Topsau sind Sie denn!«
    Aber genug, genug von alldem …
    Als endlich der Tag seiner Entlassung gekommen war, verließ Erik ohne Gruß, aber auch ohne jeden Anflug einer Mimik, die von den anderen als Schadenfreude oder Häme hätte gedeutet werden können, die Stube. Dennoch konnte sich Splittig nicht enthalten, ihm hinterherzustiefeln, sich vor ihm aufzubauen und ihm ein letztes Mal zu drohen: »Du hast’s also geschafft, Schlappschwanz. Aber freu dich nicht zu früh. Wenn wir uns draußen begegnen, und da kannst du Gift drauf nehmen, daß wir uns begegnen, und ich seh dich mit deinem kaputten Kreuz munter rumturnen, dann Gnade dir Gott! Hast du verstanden? Gnade dir Gott!« Sein Gesicht, das am Anfang seiner Abschiedsrede noch kühl und beherrscht ausgesehen hatte, war nun wutverzerrt, so, als würde Splittig sich in diesem Moment denken, das ganze Drangsalieren, was hat es genützt, wenn er jetzt gehen darf, und ich muß meine Tage weiter runterreißen.
    Erik ließ ihn wortlos stehen. Er bemerkte zwar Splittigs Hilflosigkeit, aber er erfreute sich nicht an ihr; und nicht etwa, weil er Angst gehabt hätte, der Kerl könne ihm noch einmal nachgelaufen kommen, sondern weil er in dieser Sekunde schon begann, alles, was er bis eben erlebt hatte, ins hinterste Stübchen seines Gedächtnisses zu verbannen. Als

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