Brüder und Schwestern
beiden beabsichtigten, aber er ahnte, es würde entsetzlich werden.
»Keine Bange, es ist nur zu deinem Besten«, griente Katzner, »wir wollen doch nicht dem Ixer petzen, daß sein Befehl verweigert wird.«
»Genau«, pflichtete Splittig bei, »wir wollen dir nur helfen, den Befehl auszuführen, paß auf«, er blätterte in seinem Heft, »wie nennt man das, selbslos, selbslos sind wir, guck ma«, er war fündig geworden, »hier, kriegst sogar meine Lieblingsemma, sag selbs, is die scharf? Is das ’ne scharfe Emma?«
Die Frau lag so auf dem runden gepolsterten Ende eines Sofas, daß ihre Brüste, wie auch ihre Beckenknochen, spitz emporragten und ihr Kopf knapp überm Teppichboden in der Luft hing. Ihr Mund war weit und begehrlich geöffnet, wie der einer Verdurstenden, der nach langer, langer Zeit wieder mal was Flüssiges in Aussicht gestellt wird. Und nicht vergeblich, nicht vergeblich, es naht, es ist schon unterwegs, das Getränk, und was soll man sagen, es ist sogar frisch gepreßter Saft: Ein Mann, ein Retter, ihr Erlöser, der sich fürsorglich vor ihr niedergelassen hat, versorgt sie schnell, aus der Hüfte heraus, mit diesem Nötigsten.
»Letzte Chance«, zwitscherte Katzner, »besorgst du’s dir selber?«
Mit einemmal wußte Erik, was sie vorhatten. Er war wie gelähmt. Er hörte, wie Splittig Namen rief, die Namen dreier Sprutze, er spürte, wie ihm von hinten das Koppel gelöst wurde, wie jemand an den Knöpfen seiner Uniformhose riß und jemand ihn an den Schultern packte; da stieß er plötzlich die Hände weg, alle, alle, und machte sich, bevor sie’s getan hätten, schnell an seinem Leib zu schaffen, er starrte auf das Bild, er bohrte seine Blicke in den perfekt gewölbten Körper der Frau, in ihr Lechzen, aber die Not wollte nicht enden, denn nichts geschah, nichts richtete sich auf, er haßte die stumm ihn Umringenden, und haßte sich selber, und haßte die Frau, und mehr noch als alle anderen haßte er den Typen auf dem Bild, der ihm zeigte, wie man sich anstellen mußte, der sich nicht so hatte, der konnte, wenn’s drauf ankam.
Irgendwann begann Katzner, verächtlich zu prusten, und Splittig rief: »Hör auf, Pfeife, das kann man ja nicht länger mit ansehen.«
Während Erik sich das geöffnete rauhe Uniformzeug wieder zuknöpfte, fragte Katzner seinen Kompagnon mit einem listigen Ausdruck im Gesicht: »Hat er damit eigentlich den Befehl ausgeführt? Hat er nicht, wenn man’s genau nimmt, oder?«
Splittig wiegte nachdenklich den Kopf und bekräftigte dann, »nee, Katze, hat er leider, leider nich«.
*
Nach dieser Schlappe war es vorbei mit der Ruhe, die Erik genossen hatte. Die Zeit der Rache und der Schikanen war angebrochen, er merkte es schon kurz vor der Rückfahrt mit dem W 50, denn kaum hatte er sich bleichen Gesichts auf die linke der beiden langen Holzbänke fallen lassen, wurde er von einem Vize, der sich bis dahin immer im Hintergrund gehalten hatte, wieder hochgescheucht: »Hier ist mein Platz, Schlappschwanz, such dir ’nen andern!« Und das wiederholte sich, mit anderen Soldaten, aber weitgehend identischen Worten, noch zwei- oder dreimal, ehe Erik, da fuhr der Trupp schon, endlich zum Sitzen kam. Und das »Schlappschwanz«, einmal, zweimal, dreimal gesagt, war von nun an die gängige, und mehr noch, die einzige Anrede.
Man schikanierte ihn, nicht ohne dabei getreulich des Ixers Anweisungen zu befolgen. Das heißt, man verzichtete auf alles, was geeignet gewesen wäre, ihn körperlich zu verletzen. Dafür setzte man Erik auf eine gerissene Weise zu, und je öfter und einfallsreicher man das tat, um so mehr wünschte er sich, man möge ihm doch bitte, bitte irgendwelche Knochen brechen, dann hätte er wenigstens einen handfesten Schaden, etwas Sichtbares und in einem bestimmten Zeitraum Reparables. So aber fühlte er eine dauernde stille, erbärmliche Schande, und diese Schande breitete sich immer weiter aus, ja es war, als reproduziere sie sich selbst: Kaum hatte Erik nämlich eine Boshaftigkeit überstanden, wartete er schon zwanghaft auf die nächste, und sie kam, vielleicht sogar schneller, als die Ausführenden es selber beabsichtigt hatten, denn seine Art von Demut, eine Demut ganz ohne Stolz, die machte sie erst recht fuchsig, die verlangte doch geradezu danach, bedient und befeuert zu werden, die weckte in ihnen sogar das Gefühl, jemandem seine geheimsten Wünsche zu erfüllen. Nie war ihre Gewißheit, legitim zu handeln, größer gewesen, und so hieß es bei
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