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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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schwieg Britta, sie dachte, er hat Riesenschiß in Wirklichkeit, er ist so weit vorgeprescht, daß er nicht mehr zurückkann, und er ist ganz allein da, wo er ist. Und das vergrößert nur den Schiß, den er hat. Plötzlich kam ihr eine Idee. Ihr Gesicht begann zu strahlen wie das eines Kindes, das einen Streich ausheckt und sich schon die Wirkung ausmalt. Und war sie denn nicht fast noch ein Kind? Sie sprang wie eine Katze von Jonasens Schoß, zog Jonas hoch, rief mit aufschießender Begeisterung: »Geh jetzt. Du mußt jetzt gehen. Wir sehn uns morgen in der Schule. Ich hab noch was Dringendes zu erledigen.«
    Verwirrt fragte Jonas, was denn los sei, aber schon wurde er von Britta aus der Tür gedrängt.
    *
    In regelmäßigen Abständen sollte der Mensch seinen Kopf freiräumen, sonst stoßen die vielen Gedanken, die sich darin angesammelt haben, ein bißchen zu sehr aneinander und werden ganz unbrauchbar. Er verschneidet ja auch regelmäßig seine Apfelbäume, denn wenn er’s nicht täte, hätte er bald nur noch mickrige, ungenießbare Äpfel.
    Mit seiner Jawa fuhr Willy zu diesem Zwecke im Sommer durch die Gegend, aber im Winter stand sie verpackt im Schuppen, und er war dafür in der Schwimmhalle zugange, so auch am Abend jenes Tages.
    Die Halle, die er Box nannte, befand sich auf dem Gelände des »Aufbruch« und war ausschließlich den Betriebsangehörigen vorbehalten; der Rest der Gerberstedter sah vom Friedhof aus nur ihr moosiges Dach und von der Schorba aus nur ihre großen getönten Scheiben, hinter denen glatzköpfig anmutende Gestalten sich in dampfender Luft bewegten, lautlos, so schien es von draußen, schemengleich, unterschiedslos, »KZ-Figuren im Gas«, wie Clara Felgentreu kurz vor ihrem Tode in kleinem, sehr kleinem Kreise einmal sarkastisch bemerkt hatte; dabei waren die Haare alle nur verborgen, »der Aufenthalt im Wasser ist ohne Badekappe strengstens untersagt«, stand auf Schildern, die, an Metallketten befestigt, überall in der Halle hingen.
    Willy stülpte sich seine Kappe über. Sie war etwas zu klein geraten für seinen Kopf. Es ziepte an den Haarwurzeln. Willy schnitt vor Schmerz eine Grimasse und nahm sich vor, morgen ins »Olympia« zu gehen und sich endlich eine neue Kappe zu kaufen.
    Er sprang ins Wasser, spürte augenblicklich, wie Kälte seinen Körper umschloß, und tat ein paar hastige, kindlich-ungelenke Züge.
    Warum sprach er überhaupt von Box, wenn er die Schwimmhalle meinte? Weil er, der ja immer erst spät am Abend hier sein konnte, dann jedesmal in eine großflächige Schwärze schaute. In welche Richtung er auch schwamm, immer bewegte er sich auf dunkles Glas zu, und immer nahm er solches auch längsseits wahr. Die Welt dahinter war wie verschluckt. Willy fühlte sich von ihr abgeschottet, fühlte sich in der Box wie auf einem anderen Planeten, einem komplett wasserbedeckten und kaum besiedelten. Die Halle nämlich, das kam hinzu, war wenig frequentiert. Oft zogen um diese Zeit außer Willy nur zwei oder drei weitere, buchstäblich verkappte Gestalten ihre Bahn, wobei man darauf wetten konnte, daß eine von ihnen, wenn sie den Kopf hob und ihr Gesicht offenbarte, sich als Dietrich Kluge erwies.
    Die Müdigkeit, die Willy am Vormittag, und später noch, empfunden hatte, war in dem Augenblick, da er ins Wasser tauchte, fortgespült worden. Jetzt fand er auch langsam seinen Rhythmus. Er spürte die Kraft in seinen Oberarmen, mit deren Hilfe er die Hände synchron nach außen schob, und spürte die Kraft in seinen Handflächen, die das Wasser an die Korkleinen wellten, so daß diese erzitterten. Aber er konnte das alles nicht genießen. Im Kopf des Geradeausschwimmers, immer an dem Seil lang, immer an dem Seil lang, drehten sich die Gedanken im Kreise, schlangen sich ineinander, verfilzten sich …
    Weitermann, dieser Weitermann hatte tatsächlich die Frechheit besessen, Arme vor, sich nicht an ihrer beider Abmachung zu erinnern, und hatte ihm am Telefon erklärt, Arme zur Seite, er sei es seinem Autor Gluth, einem Autor, Arme zurück, den er gerade deshalb unterstütze, und vor, weil er noch nicht die Anerkennung gefunden habe, die ihm zweifelsohne gebühre, und zur Seite, dem also sei er es geradezu schuldig, ordentliches Papier einzufordern, und zurück, woraus Willy ersehen könne, daß er gerade mit einer ausgesprochen treuen Seele rede, eine Tatsache, die er, Weitermann, jetzt gleich, und zum wiederholten Male, mit einer besonderen Freundlichkeit untermauern werde,

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