Brüder und Schwestern
als die PGH »Rosenkavalier« in der Ernst-Thälmann-Straße nahm (wenn sie denn ein paar Stiele im Angebot hatte). Absolut legitim. Überaus erfolgversprechend. Wo Engpaß, da Preisspaß, reimte Heiner Jagielka. Dann aber, gerade noch rechtzeitig, erinnerte er sich einer seiner geschäftlichen Maximen, die da lautete: Ermittle nicht nur den Preis! Ermittle unbedingt auch den Neid, den er hervorrufen könnte! Und siehe, sein zuverlässig arbeitendes Hirnrechenzentrum spuckte einen überdurchschnittlichen Wert aus. Bedrohlich erschien der ihm sogar. 60 Pfennige, das würde die Gerberstedter wohl veranlassen, seinen Gewinn zu überschlagen, anstatt sich einfach an seinem sensationell frischen Angebot zu berauschen. Und wer erst einmal den Gewinn überschlug, tja, der stellte gern auch Fragen, wie dieser denn zustande kam, und erkundete im folgenden vielleicht manches, was er, Heiner Jagielka, doch lieber für sich behalten wollte. Ach, es war ein Kreuz mit den Sensationen hierzulande! Kaum hatte man für eine gesorgt, mußte man ihr den größten Glanz – und ging im Westen der größte Glanz, der auf den Dingen lag, nicht von ihrem Preis aus? – schon wieder nehmen. Heiner Jagielka fand das ziemlich schade. Aber da er ein pragmatischer Mensch war, ließ er in sich keinen Ärger wuchern. Vielmehr erfreute er sich der Klugheit und der Vorsicht, die er wieder einmal unter Beweis gestellt hatte und die ihn, dessen war er gewiß, immer vor Ungemach bewahren würden. 50 Pfennige also, damit vermied er Probleme in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Und damit, selbst damit würde er, wenn alles lief, wie er es sich vorstellte, bald ein gemachter Mann sein.
Er war nun auf dem Marktplatz angelangt. Er parkte vor der »Sonne« und grüßte Anton Maegerlein, den ältesten Angestellten jener Fleischerei, die einst den Schildhauers gehört hatte. Maegerlein, hinterm Rost stehend, auf dem er, wie jeden Tag, mit stoischer Ruhe Thüringer Bratwürste grillte, grüßte zurück, indem er wie in Zeitlupe die Zange hob, ohne die seine Hand gar nicht mehr denkbar war; Prothese, dachte Heiner Jagielka. Er spürte jetzt eine kalte Sicherheit, er konnte alles glasklar erkennen, bedenken und formulieren, das seltsame Gefühl desjenigen, der etwas Wichtiges vorhat und eine schützende, gleichwohl völlig durchsichtige Blase um sich bildet. Links vor ihm der Spielzeugladen »Pittiplatsch & Schnatterinchen«, von dort würden lauter Mütter mit ihren Kindern zu ihm strömen; rechts von ihm das Sporthaus »Olympia«, frequentiert von Männern, die sich viel zu oft auf dem Fußballplatz herumtrieben und ganz sicher was gutzumachen hatten bei Frau & Freundin; hinter ihm Rathaus und SED-Gebietsleitung, bitteschön, auch Funktionäre waren Kunden.
Und tatsächlich, alle wahrlich nicht geringen Hoffnungen Heiner Jagielkas sollten sich als noch untertrieben erweisen. Kaum daß er seinen Campingtisch aufgestellt und seine Nelken ausgeladen hatte, bildete sich eine Menschentraube.
Nee! hieß es, die sindoch nich echt? Sang Se nich, daß die echt sind! – Nu doch, die sinso echt wie ihre bezaubernden blonden Haare, Matmosell.
Große Güte, hieß es, wo hammse die Blüten die vielen denn her? – Nu, was denkense denn? – Ich hab nichde leiseste Ahnung! – Dann schlagch vor, gnädche Frau, Se lassen de Überraschung einfach in sich weiterwirgen.
Und wennch keen Geld bei mir hab, hieß es, kriegch dann inner halben Stunde noche paar Stengel? – Aberch bitt Sie, an diesem Stand herrscht Kuhlans, Se nehmen, was Se wünschen, und bezahlen morschen. – Morschen? Se beabsichtchen, morschen ooch hier zu stehn? – Nu, dementsprechend verhält sichs …
Aber Heiner Jagielka hatte jetzt eine Dame entdeckt, die etwas abseits verharrte und das Treiben nur beobachtete, eine ausgesprochen attraktive Dame, treten Sie doch näher, junge Frau! Da schüttelte Karin Werth, denn um sie handelte es sich, sie schlenderte in ihrer Freistunde hier mal so herum, unwillig den Kopf. Heiner Jagielka nun, ohnehin nicht geschlagen mit VEBehäbigkeit, und überdies ja noch am stürmischen Anfang seiner Aufzuchts- und Handelstätigkeit, griff sich so viele Nelken, wie in seine Faust paßten, wühlte sich durch die Menge hin zu Karin Werth und überreichte ihr den Strauß mit einer formvollendeten Verbeugung – das heißt, er wollte ihn ihr überreichen, denn Karin Werth sagte, er solle das lassen. Und schon hatte sie sich umgedreht, schon war sie weg. Heiner Jagielka
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