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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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sie ihn entdeckte, winkte sie ihm, in einer Art, die offenließ, ob das jetzt ein Gruß oder eine Einladung war.
    Er strebte, seinen Eisbecher in der Hand, auf einen Tisch in einer anderen Ecke des Cafés zu, da rief sie seinen Namen. Er schwenkte um.
    Sie schloß das Buch, zog Aschenbecher und Tasse zu sich heran. »Sie sind gar nicht weg?«
    Er setzte sich und erzählte ihr, warum er noch da war, er deutete an, daß Jonas in einer ernsten Krise stecke.
    Sie nickte müde. Überhaupt schaute sie geschafft aus, wie ihm jetzt auffiel. Obwohl doch seit anderthalb Wochen Ferien waren, hatte sie dunkle Augenringe und ein blasseres Gesicht als sonst. Es war schön auf eine plötzlich erreichbare Art. Ihr Körper wiederum wirkte schmaler als noch vor kurzem. Ihre ganze Gestalt erschien auf einmal so antastbar, so wenig sicher, wie es ihre Gedanken schon immer gewesen waren.
    »Ich habe das befürchtet«, sagte sie. »Um zu überstehen, was Jonas gerade zu überstehen hat, muß man einen Inhalt haben.«
    »Wie meinen Sie das?«
    Sie wandte schweigend ihren Kopf zur Seite, blies Rauch aus. Ein letzter Kringel blieb kurz zwischen ihren vollen, etwas rissigen Lippen stehen.
    »Meinen Sie: einen Lebensinhalt?«
    »Ach, nicht so große Worte … nicht so große Worte.« Sie schnippte Asche in den Becher.
    »In Ordnung, aber Jonas hat einen Inhalt.«
    »Welchen denn?« Sie schaute ihn prüfend an.
    »Er will etwas verändern, er läuft Sturm, er …« Matti stockte.
    »Er läuft Sturm, richtig. Das ist großartig, nicht, daß wir uns falsch verstehen. Aber es ist doch zu wenig, wenn in so einem Sturm nichts mitgeführt wird. Ich habe dann immer den Eindruck, er wird um seiner selbst willen entfacht.«
    Matti schaute zur Decke, beleidigt, wie Karin Werth meinte.
    Sie legte ihre Hand auf seine, zog sie wieder zurück. »Entschuldige, er ist dein Freund, ich sollte nicht so reden …«
    Ihm entging nicht, daß sie umstandslos zum Du übergegangen war; um so eifriger sagte er: »Das dürfen Sie, das dürfen Sie. Ich habe nur überlegt, was dran ist an Ihrem Vorwurf. Ich wollte Jonas ja eben verteidigen, das war mein erster Impuls. Aber dann konnte ich es doch nicht. Also scheint was dran zu sein. Fällt nur verdammt schwer, es zuzugeben.«
    Plötzlich sagte sie kopfschüttelnd: »Matti, ich mag deine Ernsthaftigkeit, ich mag sie sehr.«
    Er starrte sie an. Summte da was in seinem Körper? Die aufflammende, törichte Begierde, mit ihr zu schlafen; und nur, weil sie ihm ein Kompliment gemacht hatte.
    Sie schaute erschrocken zur Seite, biß sich auf die Unterlippe, fügte der einen weiteren Riß hinzu. Mochte sie vielleicht noch mehr als bloß seine Ernsthaftigkeit? Womöglich seine Erscheinung? Blonde Haare hatte Matti, und einen tief angesetzten Scheitel. Legte er den Kopf auch nur leicht schief, fielen ihm gleich Strähnen in die Stirn, so strahlte er, ohne daß er sich dessen bewußt gewesen wäre, etwas Interessantes und Widerspenstiges aus. Dazu glänzte, jawohl, glänzte er mit bestimmten Anomalien, namentlich einer geringfügigen Wölbung seiner Nase sowie Augenlidern, die, jedenfalls für einen Mitteleuropäer, um ein weniges zu lang, also zu asiatisch waren. Alles in allem erschien sein Gesicht, in Relation zum idealtypischen, minimal grober und minimal weicher zugleich. Ein Jüngling aus dunklen deutschen Wäldern und von daher, wo der helle Bambus rauscht …
    Als sie sich voneinander verabschiedeten, fragte er geradezu fiebrig, ob sie morgen hier in dem Café die Unterhaltung fortsetzen würden.
    »Ist nicht alles gesagt?« fragte Karin Werth lächelnd zurück.
    Er schüttelte den Kopf. Sie ließ seinen Vorschlag in Schweigen versinken, er holte ihn, bevor der Vorschlag ganz verschüttging, wieder hervor: »Wenn nicht morgen, dann übermorgen?«
    Das wisse sie nicht.
    Als er nach Hause ging, summte es noch immer in ihm, das fand er ungewöhnlich schön und vollkommen logisch.
    Wie ihm ja auch der Wunsch, der ihn nun beherrschte, überhaupt nicht verwegen oder anmaßend erschien. Im Gegenteil, hatte nicht alles, was soeben geschehen war, eine gewisse Zwangsläufigkeit? Wodurch war es denn ausgelöst worden? Durch seine Ernsthaftigkeit! Die mochte Karin Werth, das hatte sie deutlich gesagt, und gerade diese Ernsthaftigkeit hatte Matti immer dafür verantwortlich gemacht, daß er noch nie richtig mit einem Mädchen zusammengewesen war. Wie störend sie ihm lange Zeit erschienen war! Er hatte gemeint, man müsse »locker und

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