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Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Titel: Brunetti 01 - Venezianisches Finale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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verfehlte ihn. Das machte sie so wütend, dass sie mit ihrer verkrüppelten Hand auf die hölzerne Armlehne ihres Sessels hieb und vor Schmerz aufschrie.
    Sie stemmte sich aus ihrem Sessel hoch und die Schals und Decken glitten zu Boden. »Verschwinde aus meinem Haus, du Schwein. Du Schwein.«
    Brunetti sprang von ihr weg, stolperte über ein Stuhlbein und taumelte vor ihr her durch den Flur. Sie hatte noch immer den Arm erhoben und er floh vor diesem wilden Zorn. Sie hielt keuchend inne, während er an den Riegeln rüttelte und sie zurückschob. Im Hof draußen hörte er sie immer noch kreischen, wütend auf ihn, auf Wellauer, auf die ganze Welt. Sie knallte die Tür zu und verriegelte sie, aber sie wütete weiter. Er stand fröstelnd im Nebel, erschüttert von der Wut, die er in ihr entfacht hatte. Er zwang sich, tief durchzuatmen und den Moment zu vergessen, als er wirklich Angst vor der Frau gehabt hatte, Angst vor der enormen Wucht der Erinnerung, die sie aus ihrem Sessel gerissen und dazu getrieben hatte, auf ihn loszugehen.

24.
    Er musste fast eine halbe Stunde auf das Boot warten und als Nummer fünf endlich angetuckert kam, war er gründlich durchgefroren. Der Nebel hatte sich nicht gelichtet, so saß er auf der Rückfahrt über die Lagune nach Zattere fröstelnd in der nur mäßig warmen Kabine und starrte auf das feuchte Weiß, das um die beschlagenen Fenster waberte. In der Questura angelangt, ging er die Treppe hinauf in sein Büro, ohne Notiz von den paar Leuten zu nehmen, die ihn grüßten. Er machte die Tür hinter sich zu, behielt aber den Mantel an und wartete, dass die Kälte aus seinem Körper wich. Bilder drängten sich ihm auf. Er sah die alte Frau wie eine wilde Furie kreischend den feuchten Flur entlang humpeln; er sah die drei Mädchen zum kunstvollen Dreieck formiert, er sah die jüngste tot in ihrem Kommunionkleidchen. Und alles war ihm klar, das ganze Muster, das ganze Schema.
    Er zog endlich den Mantel aus und warf ihn über eine Stuhllehne. Dann wühlte er in den Papierstapeln herum, die sich auf seinem Schreibtisch angesammelt hatten, schob Akten und Mappen beiseite, bis er den grünen Aktendeckel mit dem Autopsiebericht gefunden hatte.
    Auf der zweiten Seite stand, wonach er suchte: Rizzardi beschrieb die kleinen Wunden an Arm und Gesäß. Er bezeichnete sie als ›Spuren subkutaner Blutung, Ursache unbekannt‹
    Keiner der beiden Ärzte hatte im Gespräch mit Brunetti erwähnt, dass er Wellauer eine Spritze gegeben habe. Aber wenn man mit einer Ärztin verheiratet war, musste man einer Spritze wegen wohl kaum einen Termin bei einem anderen Arzt haben. Ebenso war Brunetti sicher, dass er auch keinen Termin vereinbaren musste, um mit dieser Ärztin zu sprechen.
    Er suchte noch einmal in dem Papierwust herum, fand den Bericht der deutschen Polizei und las darin, bis er auf eine Stelle stieß, die sein Gedächtnis geplagt hatte. Elisabeth Wellauers erster Mann, Alexandras Vater, lehrte nicht nur an der Universität Heidelberg, sondern war auch Leiter des pharmakologischen Instituts. Sie hatte ihn auf dem Weg nach Venedig besucht.
    »Ja?«, sagte Elisabeth Wellauer, als sie ihm die Tür aufmachte.
    »Ich muss mich schon wieder für eine Störung entschuldigen, Signora, aber ich habe neue Informationen und würde Ihnen dazu gern einige Fragen stellen.«
    »Worum geht es?«, fragte sie, ohne Anstalten zu machen, die Tür auch nur einen Zentimeter weiter zu öffnen.
    »Um die Ergebnisse der Autopsie an Ihrem Mann«, erklärte er in der Gewissheit, sich dadurch Zutritt zu verschaffen. Mit einer abrupten, ungraziösen Bewegung zog sie die Tür auf und trat beiseite. Schweigend ging sie voraus in das Zimmer, in dem sie sich schon zweimal gegenübergesessen hatten und deutete auf den Sessel, den er inzwischen langsam als seinen betrachtete. Er wartete, während sie sich eine Zigarette anzündete, eine für sie so typische Geste, dass er kaum mehr darauf achtete.
    »Nach der Autopsie...« Begann er ohne Umschweife. »... sagte mir der Pathologe, er habe Spuren subkutaner Blutung am Körper Ihres Mannes festgestellt, die von Injektionen stammen könnten. Das steht auch in seinem Bericht.« Er wartete einen Moment, um ihr Gelegenheit zu einer Erklärung zu geben. Als keine kam, fuhr er fort: »Dr. Rizzardi meinte, es hätte alles Mögliche sein können: Drogen, Vitamine, Antibiotika. Er sagte, so wie die Einstichstellen lagen, habe Ihr Mann sich diese Injektionen nicht selbst geben können - er war

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