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Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Brunetti 01 - Venezianisches Finale

Titel: Brunetti 01 - Venezianisches Finale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Frage, während er die Treppen hinunterging und sich wieder über die wellige Unebenheit unter seinen Füßen freute.

9.
    Ins Präsidium zurückgekehrt, erfuhr er, dass die beiden ihm zugeteilten Beamten, Alvise und Riverre, in der Wohnung des Maestro gewesen waren, um seine persönlichen Sachen durchzusehen und Dokumente und private Papiere mit zurückgebracht hatten, die jetzt gerade ins Italienische übersetzt wurden. Er rief im Labor an, wo es noch immer keine Ergebnisse über die Fingerabdrücke gab; immerhin konnten sie das Offenkundige bestätigen, nämlich, dass der Kaffee das Gift enthalten hatte. Miotti war nirgends zu finden, vermutlich war er noch im Theater. So rief Brunetti denn, weil er nichts anderes zu tun hatte und sowieso bald mit ihr reden musste, die Witwe des Maestros an und fragte, ob sie am Nachmittag zu einem Gespräch bereit sei. Nach anfänglichem und durchaus verständlichem Zögern bat sie ihn, um vier zu kommen. Er suchte in der obersten Schublade seines Schreibtisches herum und fand eine halbvolle Tüte mit bussolai, den gesalzenen venezianischen Brezeln, die er so gerne aß. Kauend überflog er die Notizen, die er sich beim Lesen des Polizeiberichts aus Deutschland gemacht hatte.
    Eine halbe Stunde vor seiner Verabredung mit Signora Wellauer brach er auf und ging langsam zur Piazza San Marco. Unterwegs sah er sich die Schaufenster an und wie immer, wenn er durch die Innenstadt schlenderte, fand er es erschreckend, wie schnell das Bild sich veränderte. Er hatte den Eindruck, dass alle Geschäfte, die für die Bewohner dieser Stadt da waren, wie Apotheken, Schuster- und Gemüseläden, langsam und unaufhaltsam verschwanden, während an ihre Stelle Hochglanzboutiquen und Souvenirläden traten, die nur für die Touristen da waren, voll gestopft mit von innen beleuchteten Plastikgondeln aus Taiwan und Papiermasken aus Hongkong. Die Kaufleute der Stadt stellten sich auf die Wünsche der Durchreisenden ein statt auf die Bedürfnisse der Einwohner. Er überlegte, wie lange es wohl dauern würde, bis die ganze Stadt ein lebendes Museum war, ein Ort, der nur für Besucher geeignet war, nicht aber, um darin zu wohnen.
    Wie zur Bestätigung seiner Überlegungen zog eine nicht ganz jahreszeitgemäße Touristengruppe an ihm vorbei, angeführt von einem empor gehaltenen Regenschirm. Den Kanal zu seiner Linken, überquerte er die Piazza, erstaunt über die vielen Leute, denen offenbar die Tauben interessanter erschienen als die Basilika.
    Hinter dem Campo San Moise ging er über die Brücke und bog nach rechts ab, dann wieder rechts in eine schmale Gasse, die an einer großen Holztür endete.
    Er läutete und eine Lautsprecherstimme fragte nach seinem Namen. Er gab ihn an und gleich darauf hörte er den Türöffner. Die Eingangshalle war frisch restauriert, die Deckenbalken abgezogen bis auf das ursprüngliche Holz und glänzend lackiert. Auf dem Fußboden waren eingelegte Marmorfliesen in einem geometrischen Muster aus Wellen und Spiralen verlegt, wie er mit venezianisch geschultem Auge feststellte. Aus der leichten Unebenheit schloss er, dass es sich um den Originalboden des Hauses handelte, vielleicht frühes fünfzehntes Jahrhundert.
    Er begann die verschwenderisch breiten Stufen hochzusteigen. Auf jedem Treppenabsatz gab es eine einzige metallene Tür, die einzelne Tür kündete von Reichtum, das Metall von dem Wunsch, diesen Reichtum zu schützen. Die gravierten Namensschilder sagten ihm, dass er noch weiter hinaufsteigen musste. Die Treppe endete im fünften Stock vor einer weiteren Metalltür. Er drückte auf den Klingelknopf und wurde kurz darauf von der Frau begrüßt, mit der er am Abend vorher im Theater gesprochen hatte, der Witwe des Maestros.
    Er nahm ihre ausgestreckte Hand, murmelte: » Permesso « und trat in die Wohnung.
    Falls sie in der Nacht geschlafen hatte, sah man es ihrem Gesicht nicht an. Sie hatte kein Make-up aufgelegt und sah sehr blass aus, was durch die dunklen Ringe unter ihren Augen noch unterstrichen wurde. Aber selbst unter der Müdigkeit konnte man die Schönheit durchschimmern sehen. Mit diesen Wangenknochen könnte sie sich noch im hohen Alter sehen lassen und ihre Nase gab ihr ein Profil, nach dem sich die Leute umdrehten.
    »Ich bin Commissario Brunetti. Wir haben gestern Abend miteinander gesprochen.«
    »Ja, ich erinnere mich«, sagte sie. »Bitte kommen Sie hier entlang.« Sie ging durch einen Flur voraus in ein großes Arbeitszimmer. In einer Ecke war ein

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