Brunetti 01 - Venezianisches Finale
durch nichts abgelenkt werden.«
Das erschien Brunetti ganz normal. »Kam er Ihnen nervöser vor als sonst?«
Sie überlegte einen Augenblick. »Nein, das kann ich nicht sagen. Wir sind gegen sieben zum Theater gegangen. Es ist ja nicht weit.« Er nickte. »Ich bin zu meinem Platz gegangen, auch wenn es noch früh war. Die Platzanweiser kannten mich von den Proben, sie haben mich eingelassen. Helmut ging hinter die Bühne, um sich umzuziehen und einen Blick auf die Partitur zu werfen.«
»Entschuldigen Sie, Signora, aber war Ihr Mann nicht berühmt dafür, dass er ohne Partitur dirigierte. Ich erinnere mich, so etwas gelesen zu haben.«
Sie lächelte. »O ja, sicher. Aber er hatte sie immer in seiner Garderobe und ging sie vor der Vorstellung noch einmal durch, auch während der Pausen.«
»Wollte er deshalb nicht gestört werden?«
»Ja.«
»Sie sagten, Sie seien gestern hinter die Bühne gegangen, um mit ihm zu sprechen.« Und als sie nicht antwortete, fragte er: »War das normal?«
»Nein, wie ich Ihnen schon sagte, mochte er es nicht, wenn jemand während einer Vorstellung mit ihm sprach. Er sagte immer, es störe seine Konzentration. Aber gestern bat er mich, nach dem zweiten Akt zu ihm zu kommen.«
»War jemand dabei, als er das sagte?«
Ihre Stimme bekam einen scharfen Unterton. »Meinen Sie, ob ich einen Zeugen dafür habe?« Brunetti nickte. »Nein, Signor Brunetti, ich habe keinen Zeugen. Aber es überraschte mich.«
»Warum?«
»Weil Helmut selten etwas tat, was... Ich weiß nicht genau, wie ich es nennen soll... aus dem Rahmen fiel. Er hielt sich fast immer streng an seine Routine. Deshalb war ich erstaunt, dass er mich bat, während einer Vorstellung zu ihm zu kommen.«
»Aber Sie sind gegangen?«
»Ja, das bin ich.«
»Warum wollte er Sie sehen?«
»Das weiß ich nicht. Ich traf Freunde im Foyer und unterhielt mich ein paar Minuten mit ihnen. Ich hatte vergessen, dass man während einer Vorstellung nicht vom Orchester aus hinter die Bühne kann, dass man nach oben zu den Logen gehen muss. Und als ich schließlich bei seiner Garderobe ankam, gongte es schon zum zweiten Mal.«
»Haben Sie mit ihm gesprochen?«
Sie zögerte lange mit ihrer Antwort. Aber schließlich sagte sie: »Ja, aber ich habe nur hallo gesagt und gefragt, was er mir erzählen wollte. Aber dann hörten wir...« Hier hielt sie inne und drückte ihre Zigarette aus. Sie nahm sich viel Zeit dafür, während sie immer wieder mit der erloschenen Zigarette im Aschenbecher umherfuhr. Endlich ließ sie die Kippe fallen und sprach mit veränderter Stimme weiter. »Wir hörten den zweiten Gong. Es war keine Zeit mehr zum Reden. Ich sagte, ich käme nach der Vorstellung wieder und ging zu meinem Platz zurück. Die Lichter gingen gerade aus, als ich mich setzte. Ich wartete, dass der Vorhang aufgehen und die Vorstellung weitergehen sollte, aber Sie wissen ja... Sie wissen ja, was dann geschah.«
»Ist Ihnen da zum ersten Mal der Gedanke gekommen, dass etwas nicht stimmen könnte?«
Sie griff nach der Zigarettenschachtel und zog eine heraus. Brunetti nahm das Feuerzeug vom Tisch und gab ihr Feuer. »Danke«, sagte sie und blies den Rauch von ihm weg.
»Ist Ihnen da zum ersten Mal klar geworden, dass etwas nicht stimmte?«, wiederholte er.
»Ja.«
»Hat Ihr Mann sich in den letzten Wochen anders verhalten als sonst?« Als sie nicht antwortete, bohrte er weiter: »Nervös vielleicht, oder irgendwie reizbar?«
»Ich habe die Frage verstanden«, meinte sie knapp, dann sah sie ihn unsicher an und sagte: »Tut mir leid.«
Er hielt es für besser zu schweigen, anstatt auf ihre Entschuldigung einzugehen.
Und nach einem Weilchen beantwortete sie seine Frage. »Nein, er schien eigentlich nicht anders als sonst. Er hat die Traviata immer sehr geliebt und er liebte diese Stadt.«
»Und die Proben sind gut verlaufen? Friedlich?«
»Ich bin nicht sicher, ob ich diese Frage verstehe.«
»Hatte Ihr Mann irgendwelche Schwierigkeiten mit den anderen, die an dieser Produktion beteiligt waren?«
»Nein, nicht dass ich wüsste«, antwortete sie nach kurzer Überlegung.
Brunetti fand es an der Zeit, zu ein paar persönlichen Fragen zu kommen. Er blätterte in seinem Notizbuch herum, warf einen Blick auf die leeren Seiten und fragte: »Wer wohnt hier, Signora?«
Falls sie der plötzliche Themenwechsel überraschte, so ließ sie es sich nicht anmerken. »Mein Mann und ich und eine Haushälterin.«
»Wie lange ist diese Haushälterin schon
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