Brunetti 01 - Venezianisches Finale
allzu langer Zeit gebadet oder geduscht. Und als er sich wieder Flavia Petrelli zuwandte, merkte er, dass auch sie den frischen Duft einer Frau verströmte, die gerade dem Bad entstiegen war. Und plötzlich war er mitten in einer erotischen Phantasie, in der die beiden Frauen eng umschlungen in der Dusche standen, nackt, die Brüste aneinandergepresst; und er war erstaunt, wie stark dieses Bild ihn berührte. O Gott, wie viel einfacher war es in Neapel gewesen, mit einem Fußtritt und einem Schubs.
Die Amerikanerin riss ihn aus seiner Träumerei, als sie fragte: »Heißt das, Sie glauben, Flavia könnte es getan haben? Oder ich?«
»Es ist viel zu früh, um darüber zu spekulieren«, antwortete er, obwohl das kaum stimmte. »Es ist viel zu früh, um über Verdächtige zu reden.«
»Aber es ist nicht zu früh, um über Motive zu reden«, sagte die Sängerin.
»Nein, das nicht«, gab er zu. Er musste wohl kaum darauf hinweisen, dass sie jetzt offenbar eines hatte.
»Das heißt wohl, dass ich auch eins habe«, fügte ihre Freundin hinzu. Eine seltsamere Liebeserklärung hatte Brunetti noch nie gehört.
Oder war es Freundschaft? Oder Loyalität gegenüber der Arbeitgeberin? Und da hieß es immer, die Italiener seien kompliziert.
Er beschloss, sich nicht festzulegen. »Wie gesagt, es ist noch zu früh, um von Verdächtigen zu reden.« Und er beschloss, das Thema zu wechseln. »Wie lange sind Sie noch hier, Signora?«
»Bis wir alle Vorstellungen hinter uns haben«, sagte sie. »Das sind noch zwei Wochen. Bis zum Ende des Monats. Obwohl ich an den Wochenenden gern nach Mailand fahren würde.« Das klang wie eine Feststellung, aber es war klar, dass sie um seine Erlaubnis bat. Er nickte, was gleichzeitig Verständnis und offizielle polizeiliche Erlaubnis bedeutete, die Stadt zu verlassen.
Sie sprach weiter. »Danach weiß ich noch nicht genau. Ich habe keine weiteren Verpflichtungen bis...« Sie sah zu ihrer Freundin hinüber, die ohne Zögern hinzufügte: »Covent Garden, am fünften Januar.«
»Und bis dahin sind Sie in Italien?«, fragte er.
»Bestimmt. Entweder hier oder in Mailand.«
»Und Sie, Miss Lynch?«
Ihr Blick war kühl, so kühl wie ihre Antwort. »Ich auch.« Und obwohl es kaum nötig war, fügte sie hinzu: »Bei Flavia.«
Er holte sein Notizbuch aus der Tasche und bat um die Mailänder Adresse. Flavia Petrelli gab sie ihm und, unaufgefordert, auch die Telefonnummer. Er notierte beides, steckte das Notizbuch weg und stand auf.
»Vielen Dank Ihnen beiden für Ihre Zeit«, sagte er förmlich.
»Glauben Sie, dass Sie mich noch einmal sprechen müssen?«, fragte die Sängerin.
»Das hängt davon ab, was mir andere erzählen«, antwortete Brunetti, wobei er die Drohung bedauerte, die darin lag, nicht aber die Aufrichtigkeit. Sie hörte nur die Drohung, hob ihre Partitur auf und setzte sich wieder damit in den Sessel. Er interessierte sie nicht mehr.
Er machte einen Schritt auf die Tür zu und trat dabei in den Lichtschein eines der Dachfenster. Er sah nach oben, dann zu der Amerikanerin und fragte endlich: »Wie haben Sie es geschafft, diese Oberlichter zu bekommen?«
Sie ging an ihm vorbei in die Diele, blieb an der Eingangstür stehen und fragte: »Meinen Sie die Fenster oder die Erlaubnis, sie einbauen zu lassen?«
»Die Erlaubnis.«
Lächelnd antwortete sie: »Ich habe den Stadtplaner bestochen.«
»Wie viel?«, fragte er automatisch, während er die Fläche berechnete. Sechs waren es, jedes ungefähr einen Meter im Quadrat.
Sie lebte offenbar schon lange genug in Venedig, um durch diese indiskrete Frage nicht gekränkt zu sein. Ihr Lächeln wurde noch breiter und sie sagte: »Zwölf Millionen Lire«, als gebe sie ihm die Außentemperatur an.
Das hieß, rechnete Brunetti, ungefähr ein halbes Monatsgehalt pro Fenster.
»Aber das war vor zwei Jahren«, erklärte sie. »Wie ich gehört habe, sind die Preise inzwischen gestiegen.«
Er nickte. In Venedig unterlag selbst Bestechung der Inflation.
Sie gaben sich die Hand und er war überrascht über die Herzlichkeit ihres Lächelns, als ob ihr Gespräch über Bestechung sie irgendwie zu Verschwörern gemacht hätte. Sie bedankte sich für seinen Besuch, obgleich das wohl kaum erforderlich war. Er reagierte mit der gleichen Höflichkeit und hörte in seiner Stimme echte Wärme. War er so leicht umzustimmen? Hatte die eben gezeigte Bereitschaft zur Korruption sie menschlicher gemacht? Er verabschiedete sich und grübelte über diese letzte
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