Brunetti 01 - Venezianisches Finale
Gesamtaufnahmen von Opern wahrscheinlich. Links davon stand eine sehr kompliziert aussehende Stereoanlage und in den Ecken auf Holzpodesten zwei große Lautsprecherboxen. Die Bilder an den Wänden waren ausschließlich moderne Klecksereien in kräftigen Farben und sprachen ihn nicht an.
Kurz darauf kam Miss Lynch aus der Küche zurück, sie brachte ein silbernes Tablett mit zwei Espressotassen, Löffelchen und einer silbernen Zuckerdose herein. Heute trug sie Jeans, die noch nie etwas von Amerika gehört hatten und ein anderes Paar Stiefel, diesmal in einem dunklen Rotbraun. Für jeden Wochentag eine andere Farbe? Was irritierte ihn so an dieser Frau? Dass sie als Ausländerin seine Sprache so gut sprach wie er selbst und in einem Haus wohnte, das er sich auch im Traum nie würde leisten können?
Er bedankte sich, als sie die Tasse vor ihn hinstellte und wartete, bis sie ihm gegenüber Platz genommen hatte. Er bot ihr Zucker an, aber sie lehnte mit einer Kopfbewegung ab. Er nahm sich zwei Löffel und setzte sich auf dem Sofa zurück. »Ich komme gerade von San Michele«, begann er. »Die Todesursache war Zyankali.« Sie hob ihre Tasse an die Lippen und nippte. »Es war im Kaffee.«
Sie setzte ihre Tasse auf der Untertasse ab und stellte beides auf den Tisch.
Flavia Petrelli sah von ihren Noten auf, doch der Kommentar kam nicht von ihr. »Dann ist es wenigstens schnell gegangen. Wie rücksichtsvoll von dem, der es getan hat«, sagte Brett Lynch und an ihre Freundin gewandt: »Wolltest du auch Kaffee, Flavia?«
Brunetti fand das alles etwas sehr theatralisch, aber er ging darüber hinweg und stellte die Frage, die sie mit ihrer Bemerkung eindeutig hatte provozieren wollen. »Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie den Maestro nicht leiden konnten, Miss Lynch?«
»Ja«, antwortete sie und sah ihm direkt ins Gesicht, »ich mochte ihn nicht und er mich auch nicht.«
»Gab es dafür einen bestimmten Grund?«
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wir waren in vielen Dingen uneins.« Das sollte wohl als Begründung genügen, nahm Brunetti an.
Er wandte sich an Signora Petrelli. »Hatten Sie eine andere Einstellung dem Maestro gegenüber?«
Sie klappte die Partitur zu und legte sie sorgfältig zu ihren Füßen auf den Boden, bevor sie antwortete. »Ja, schon. Helmut und ich haben immer gut zusammengearbeitet. Wir hatten beruflich großen Respekt füreinander.«
»Und privat?«
»Auch natürlich«, antwortete sie rasch. »Aber unsere Beziehung war in erster Linie beruflicher Natur.«
»Und wie waren Ihre persönlichen Gefühle ihm gegenüber, wenn ich fragen darf?« Wenn sie die Frage erwartet hatte, schien sie ihr dennoch nicht zu gefallen. Sie rutschte auf ihrem Sessel herum und ihm fiel auf, wie offensichtlich sie es machte, dass die Frage sie unangenehm berührte. Er hatte im Lauf der Jahre viel über sie gelesen und wusste, dass sie eine gute Schauspielerin war. Wenn sie über ihre Beziehung zu Wellauer etwas verbergen wollte, dann konnte sie das auch; sie würde nicht dasitzen und sich winden wie ein Schulmädchen, das man über seinen ersten Freund ausfragt.
Er ließ das Schweigen wachsen und wiederholte seine Frage ganz bewusst nicht.
Schließlich meinte sie etwas zögernd: »Ich mochte ihn nicht.«
Als sie nichts weiter hinzufügte, sagte Brunetti: »Wenn ich meine Frage an Miss Lynch wiederholen darf; gab es dafür irgendwelche besonderen Gründe?« Wie höflich wir doch miteinander umgehen, dachte er. Da liegt dieser alte Mann kalt und ausgeweidet drüben jenseits der Lagune und wir sitzen hier und ergehen uns in Höflichkeitsfloskeln
- würden Sie mir sagen? Darf ich fragen? Einen Augenblick wünschte er sich wieder nach Neapel zurück, wo er diese schrecklichen Jahre verbracht und mit Menschen zu tun gehabt hatte, die den Feinheiten der Sprache nicht zugänglich waren und auf Tritte und Schläge reagierten.
Signora Petrelli unterbrach seine Tagträumerei. »Es gab keinen direkten Grund«, meinte sie. »Er war einfach ›antipatico‹.« Aha, dachte Brunetti, als er das Wort schon wieder hörte, wie viel besser als irgendwelche sprachlichen Feinheiten. Für jede zwischenmenschliche Disharmonie musste diese Erklärung herhalten, dass jemand ›antipatico‹ war, dass irgendein undefinierbarer Kontakt zwischen zwei Menschen nicht zustande gekommen war und schon sollte auf wundersame Weise alles klar sein. Es war vage und es war ungenügend, aber es war offenbar alles, was er herausbekommen
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