Brunetti 02 - Endstation Venedig
sitzen, ohne den Motor anzulassen. »Großer Auftrag, so ein Krankenhausbau«, meinte Brunetti schließlich. »Großer Auftrag für Signor Gamberetto.«
»Kann man wohl sagen«, stimmte der andere zu.
»Sagt dir der Name etwas?« fragte Brunetti.
»O ja«, antwortete Ambrogiani, und dann: »Er ist einer, von dem wir die Finger lassen sollen.«
Als Brunetti ihn fragend ansah, erklärte Ambrogiani: »Keine direkte Anweisung - so werden diese Sachen nie gehandhabt -, aber es ist von oben durchgesickert, daß Signor Gamberetto und seine Geschäfte nicht allzu genau unter die Lupe zu nehmen sind.«
»Sonst passiert was?« erkundigte sich Brunetti.
»Ach.« Ambrogiani lachte verbittert auf. »So direkt wird das nie gesagt. Es wird nur angedeutet, und wer auch nur ein Fünkchen Verstand hat, weiß Bescheid.«
»Und läßt Signor Gamberetto in Ruhe?«
»Genau.«
»Interessant«, war Brunettis Kommentar.
»Sehr.«
»Ihr behandelt ihn also wie einen ganz normalen Geschäftsmann, der in dieser Gegend seinem Gewerbe nachgeht?«
Ambrogiani nickte.
»Und am Lago di Barcis, wie es aussieht.«
»Ja, so sieht es aus.«
»Ob du etwas mehr über ihn herausfinden kannst?«
»Ich könnte es versuchen.«
»Und was heißt das?«
»Das heißt, wenn er ein mittelgroßer Fisch ist, kann ich etwas über ihn in Erfahrung bringen. Aber wenn er ein großer Fisch ist, wird's nicht viel zu erfahren geben. Oder sagen wir so: Ich werde feststellen, daß er nichts weiter als ein achtbarer Geschäftsmann aus der Gegend ist, der gute Kontakte zur Politik hat. Und das wird uns nur bestätigen, was wir ohnehin schon wissen, nämlich daß er ein Mann mit einflußreichen Freunden ist.«
»Mafia?«
Ambrogiani zog als Antwort eine Schulter hoch.
»Sogar hier oben im Norden?«
»Warum nicht? Irgendwo müssen sie doch hin. Im Süden unten bringen sie sich ja nur noch gegenseitig um. Wie viele Morde hat es denn dieses Jahr schon gegeben? Zweihundert? Zweihundertfünfzig? Also kommen sie hierher.«
»Regierung?«
Ambrogiani gab jenes ganz bestimmte abfällige Schnauben von sich, das Italiener speziell für ihre Regierung reserviert haben. »Wer kann das schon noch auseinanderhalten, Mafia und Regierung?«
Diese Ansicht ging weiter als Brunettis eigene, aber vielleicht hatte das landesweite Netzwerk der Carabinieri Zugang zu mehr Informationen als er.
»Und was kannst du tun?« fragte Ambrogiani.
»Ich kann ein paar Telefonate führen, wenn ich nach Hause komme. Die eine oder andere Gefälligkeit in Anspruch nehmen.« Er sagte Ambrogiani nicht, daß der eine Anruf, der seiner Ansicht nach am meisten Erfolg versprach, nichts mit der Beanspruchung eines Gefallens zu tun hatte; eher das Gegenteil.
Schweigend blieben sie eine Weile sitzen. Endlich beugte Ambrogiani sich vor, öffnete das Handschuhfach und fing an, in dem Stapel Landkarten zu wühlen, der darin lag, bis er schließlich eine davon herauszog. »Hast du Zeit?« fragte er.
»Ja. Wie lange dauert die Fahrt dorthin?«
Statt einer Antwort faltete Ambrogiani die Karte auseinander, wobei er einen Teil aufs Lenkrad legte und mit seinem dicken Finger darauf herumfuhr, bis er gefunden hatte, was er suchte. »Hier ist es. Lago di Barcis.« Sein Finger rutschte etwas nach rechts und dann in einer geraden Linie südlich bis Pordenone. »Anderthalb Stunden. Vielleicht zwei. Der größte Teil Autobahn. Was meinst du?«
Zur Antwort griff Brunetti schräg nach hinten, zog sich den Sicherheitsgurt über die Brust und ließ den Verschluß zwischen ihren beiden Sitzen einrasten.
Zwei Stunden später waren sie auf der kurvigen Straße, die sich zum Lago di Barcis hinaufwand, gefangen in einer Schlange von mindestens zwanzig Wagen hinter einem riesigen schotterbeladenen Laster, der sich mit etwa zehn Kilometern pro Stunde aufwärts quälte und Ambrogiani zwang, ständig zwischen dem ersten und zweiten Gang hin- und herzuschalten, während sie vor den Kurven anhielten, damit der Laster Zeit hatte, sich hindurchzumanövrieren. Immer wieder wurden sie links von Autos überholt, die sich anschließend hupend zwischen die unmittelbar hinter dem Laster fahrenden drängten. Gelegentlich scherte einer nach rechts aus und suchte sich auf dem zu schmalen Seitenstreifen einen Parkplatz. Der Fahrer stieg dann aus, öffnete die Motorhaube, und manchmal machte er den Fehler, auch den Kühler aufzuschrauben.
Brunetti hätte gern einen Zwischenhalt vorgeschlagen, denn sie hatten es weder eilig noch ein
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