Brunetti 03 - Venezianische Scharade
Blick auf seinem Campari Soda.
»Kennst du seine Frau?« fragte sie, aufs Thema zurückkommend.
»Ich glaube, ich bin ihr vor ein paar Jahren mal irgendwo bei einem Konzert vorgestellt worden. Aber ich würde sie wohl kaum erkennen, wenn ich ihr begegnete. Wie ist sie denn so?«
Paola nippte an ihrem Drink und stellte das Glas auf die Brüstung, etwas, was sie den Kindern immer wieder verbot. »Also«, fing sie an, während sie überlegte, wie sie ihre Antwort am beißendsten formulieren konnte. »Wenn ich Signor, nein, Avvocato Santomauro wäre und, von meiner Veranlagung mal ganz zu schweigen, die Wahl hätte zwischen meiner großen, dürren, tadellos angezogenen Frau mit ihrer Margaret-Thatcher-Frisur und einem jungen Mann, gleich welcher Größe, Haarfarbe oder Veranlagung, dann würde ich zweifellos die Arme nach dem Jungen ausstrecken.«
»Woher kennst du sie?« fragte Brunetti, die Rhetorik wie immer ignorierend und ganz auf die Sache konzentriert.
»Sie ist Kundin bei Biba«, erklärte Paola, einen ihrer Freunde erwähnend, der Juwelier war. »Ich habe sie ein paarmal in seinem Laden getroffen, und außerdem einmal mit ihrem Mann im Haus meiner Eltern, bei einem dieser Abendessen, zu denen du nicht mitgegangen bist.« Brunetti nahm das als Revanche dafür, daß er sie gefragt hatte, ob sie Dinge weitergab, die er ihr erzählte, und ließ es durchgehen.
»Wie sind die beiden zusammen?«
»Sie besorgt das Reden, und er steht nur mit arroganter Miene herum, als gäbe es im Umkreis von zehn Kilometern nichts und niemanden, der ihm das Wasser reichen könnte. Ich fand immer, daß sie zwei scheinheilige Wichtigtuer sind. Ich mußte ihr nur fünf Minuten zuhören, da war es mir klar; sie ist wie eine Nebenfigur aus einem Roman von Dickens, eine von den frömmlerischen, bösartigen. Weil andauernd nur sie redet, wußte ich bei ihm nicht so genau, woran ich war, ich mußte mich auf meinen Instinkt verlassen, aber es freut mich zu hören, daß ich recht hatte.«
»Paola«, warnte er. »Ich habe keinen Anlaß anzunehmen, daß er aus einem anderen Grund dort war, als um Crespo juristisch zu beraten.«
»Und dazu mußte er die Schuhe ausziehen?« fragte sie mit einem ungläubigen Schnauben. »Guido, erinnere dich doch bitte, in welchem Jahrhundert du lebst. Avvocato Santomauro war nur aus einem einzigen Grund dort, und der hatte nichts mit seinem Beruf zu tun, es sei denn, er hat einen interessanten Finanzierungsplan für Signor Crespo ausgearbeitet.«
Paola hatte den Hang, übers Ziel hinauszuschießen, das wußte er aus über zwei Jahrzehnten Erfahrung. Er war sich, selbst nach all diesen Jahren, noch immer nicht klar darüber, ob das ein Laster oder eine Tugend war, fest stand, daß es zu ihren unveränderlichen Charakterzügen gehörte. Sie bekam in solchen Momenten einen wild entschlossenen Blick, und den sah Brunetti jetzt. Er hatte zwar keine Ahnung, was kommen würde, aber er wußte, gleich war es soweit.
»Meinst du, er hat für den patriarca den gleichen Finanzierungsplan ausgeklügelt?«
In ebenjenen Jahren hatte er auch die Erfahrung gemacht, daß es das beste war, einfach nicht darauf einzugehen.
»Wie gesagt«, fuhr Brunetti fort, »die Tatsache, daß er sich in der Wohnung aufgehalten hat, beweist gar nichts.«
»Ich hoffe, du hast recht, sonst müßte ich mir jedesmal Sorgen machen, wenn ich ihn aus dem Palazzo des Erzbischofs oder aus der Basilika kommen sehe, oder?«
Brunetti warf ihr nur einen ganz kurzen Blick zu.
»Also gut, Guido, er war geschäftlich dort, beruflich.« Sie ließ ein paar Sekunden verstreichen und meinte dann in völlig anderem Ton, der ihm sagen sollte, daß sie sich jetzt wieder anständig benehmen und die Sache ernst nehmen wollte: »Aber du hast doch gesagt, daß Crespo den Mann auf dem Foto erkannt hat.«
»Ich hatte zuerst den Eindruck, aber als er dann zu mir aufsah, hatte er einen Moment Zeit gehabt, sich zu sammeln, und sein Gesichtsausdruck wirkte wieder normal.«
»Dann könnte der auf dem Bild ein x-beliebiger Mann sein, nicht? Einer vom Strich, sogar ein Kunde. Hast du das bedacht, Guido, daß es ein Kunde sein könnte, der sich als Frau anzieht, wenn er, na ja, wenn er zu diesen anderen Männern geht?«
Auf dem sexuellen Markt, den die moderne Gesellschaft darstellte, machte das Alter des Mannes ihn, wie Brunetti wußte, viel wahrscheinlicher zum Käufer als zum Verkäufer. »Das würde heißen, daß wir nach einem suchen sollten, der sich eher
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