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Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Titel: Brunetti 03 - Venezianische Scharade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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wir weder Namen noch Adressen.«
    »Dann muß ich sie wohl da aufsuchen, wo sie arbeiten«, erklärte Brunetti.
    Die Via Cappuccina ist eine breite, von Bäumen gesäumte Straße, die ein paar Häuserblocks rechts hinter dem Bahnhof von Mestre beginnt und ins Geschäftszentrum der Stadt führt. Auf beiden Seiten sind Geschäfte und kleine Lebensmittelläden, Büros und ein paar Wohnblocks. Tagsüber ist es eine ganz normale Straße in einer ganz normalen italienischen Kleinstadt. Kinder spielen unter den Bäumen und in den kleinen Parkanlagen, die es entlang der Straße hie und da gibt. Ihre Mütter sind meist dabei, um sie vor den Autos zu warnen, aber auch, um sie vor gewissen anderen Leuten zu schützen und zu bewahren, die sich von der Via Cappuccina angezogen fühlen. Die Geschäfte schließen um halb eins; dann hält die Via Cappuccina ein paar Stunden Mittagsschlaf. Der Verkehrsstrom bricht ab, die Kinder gehen zum Essen und Schlafen nach Hause, das Geschäft ruht, und auch die Erwachsenen gehen heim, um zu essen und sich auszuruhen. Nachmittags spielen weniger Kinder draußen, obwohl der Verkehr wieder strömt und die Via Cappuccina sich mit Leben und Bewegung füllt, sobald Läden und Büros öffnen.
    Zwischen halb acht und acht Uhr abends machen dann die Läden, Büros und kleinen Geschäfte zu, die Kaufleute und Ladenbesitzer ziehen Metallgitter herunter, schließen sorgfältig ab, kehren zum Abendessen nach Hause zurück und überlassen die Via Cappuccina denen, die anschließend dort ihrer Arbeit nachgehen.
    Abends herrscht immer noch Verkehr auf der Via Cappuccina, aber niemand scheint es mehr sonderlich eilig zu haben. Die Autos fahren langsam, aber Parken ist kein Problem mehr, und die Fahrer suchen keine Parkplätze. Italien ist ein wohlhabendes Land geworden, die meisten Autos sind klimatisiert. Deshalb fließt der Verkehr langsamer, denn jetzt müssen die Fenster heruntergekurbelt werden, bevor man Preise herüberrufen oder hören kann.
    Manche der Autos sind neu und stromlinienförmig, BMW und Mercedes, gelegentlich auch Ferraris, obgleich letztere auf der Via Cappuccina eher aus dem Rahmen fallen. Meist sind es gesetzte, wohlgenährte Limousinen, Autos für Familien, der Wagen, der morgens die Kinder in die Schule bringt, der am Sonntag die Familie zur Kirche und danach zum Essen bei den Großeltern fährt. Normalerweise werden sie von Männern gelenkt, die sich in Anzug und Krawatte wohler fühlen als in jedem anderen Aufzug, wohlhabenden Männern, die von dem wirtschaftlichen Aufschwung profitiert haben, der es in den letzten Jahrzehnten so gut mit Italien gemeint hat.
    Immer häufiger müssen in privaten Entbindungsheimen und auf den Stationen italienischer Kliniken, in die sich begibt, wer reich genug ist, um private ärztliche Versorgung in Anspruch nehmen zu können, Ärzte frischgebackenen Müttern sagen, daß sie und ihr Kind mit dem AIDS-Virus infiziert sind. Die meisten Frauen sind wie vor den Kopf geschlagen, denn sie haben ihr Eheversprechen ernst genommen, und ihrer Ansicht nach muß bei ihrer medizinischen Behandlung ein furchtbarer Fehler passiert sein. Aber vielleicht findet sich die Antwort leichter auf der Via Cappuccina und in dem Handel, der sich zwischen den Fahrern jener soliden Autos und den Männern und Frauen auf den Gehsteigen abspielt.
    Brunetti bog an dem Abend gegen halb zwölf in die Via Cappuccina ein, nachdem er wenige Minuten zuvor am Bahnhof angekommen war. Er war zum Abendessen nach Hause gefahren, hatte eine Stunde geschlafen und sich dann so angezogen, daß er seiner Ansicht nach nicht direkt wie ein Polizist aussah. Scarpa hatte sowohl von der Zeichnung als auch von den Fotos des Toten etwas kleinere Kopien machen lassen, und Brunetti trug ein paar davon in der Innentasche seines blauen Leinenjacketts.
    Von rechts hinter sich hörte er das entfernte Brausen des Verkehrs, der immer noch auf der tangenziale vorbeirauschte. Obwohl er wußte, daß es unwahrscheinlich war, hatte Brunetti das Gefühl, die Abgase drifteten allesamt hier herüber, so dick und schwer war die unbewegte Luft. Er überquerte eine Straße, eine weitere, und noch eine, und dann bemerkte er allmählich den Verkehr. Da waren die Autos, langsam glitten sie vorwärts, die Fenster geschlossen, während die Köpfe der Fahrer zum Gehsteig gewandt waren, um den Durchgangsverkehr der anderen Sorte zu begutachten.
    Brunetti sah, daß er nicht als einziger zu Fuß unterwegs war, dafür unter den

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