Brunetti 03 - Venezianische Scharade
wegdrängte. Brunetti ging weiter ins Wohnzimmer zu einem thronähnlichen Ledersessel neben einem Tisch, auf dem ein riesiger Gladiolenstrauß in einer Kristallvase stand. Er setzte sich in den Sessel, schlug die Beine übereinander und sagte:
»Vielleicht warte ich dann hier auf Signor Crespo.« Er lächelte. »...Wenn Sie nichts dagegen haben, Signor...?«
Der Mann knallte die Eingangstür zu, drehte sich um und ging rasch zu einer zweiten Tür am anderen Ende des Zimmers. »Ich hole ihn«, sagte er.
Er verschwand in dem angrenzenden Raum und zog die Tür hinter sich zu. Seine tiefe, ärgerliche Stimme war deutlich zu vernehmen. Brunetti hörte eine zweite Stimme, ein Tenor zu dem Baß. Und dann war es, als mischte sich noch eine dritte ein, auch ein Tenor, aber einen ganzen Ton höher als der erste. Was immer hinter der Tür gesprochen wurde, es dauerte einige Minuten, und Brunetti sah sich derweil im Zimmer um. Alle Einrichtungsgegenstände waren neu, und alle waren sichtbar teuer, aber er hätte nichts davon haben wollen, weder das perlgraue Ledersofa, noch den eleganten Mahagonitisch daneben.
Die Tür zu dem anderen Zimmer ging auf, und das Schwergewicht kam heraus, gefolgt von einem zweiten Mann, der zehn Jahre jünger und mindestens drei Konfektionsgrößen kleiner war.
»Das ist er«, sagte der im Pullover und deutete auf Brunetti.
Der jüngere Mann trug eine weitgeschnittene, hellblaue Hose und ein offenes, weißes Seidenhemd. Er kam auf Brunetti zu, der sich erhob und fragte: »Signor Francesco Crespo?«
Der Jüngere baute sich vor ihm auf, aber dann kam angesichts eines Mannes von Brunettis Aussehen und Alter offenbar der Instinkt oder die professionelle Routine durch. Er trat einen winzigen Schritt näher an Brunetti heran, hob mit gespreizten Fingern anmutig die Hand und legte sie an den Halsansatz. »Ja. Was kann ich für Sie tun?«
Es war die höhere Tenorstimme von den beiden, die Brunetti durch die Tür gehört hatte, aber Crespo bemühte sich, sie tiefer klingen zu lassen, als machte sie das interessanter oder verführerischer.
Crespo war etwas kleiner als Brunetti und wog sicher zehn Kilo weniger. Es war entweder Zufall oder Berechnung, daß seine Augen, die sich von seinem sonnengebräunten Gesicht abhoben, dasselbe helle Grau wie das Sofa hatten. Hätte eine Frau dieses Gesicht gehabt, hätte man sie höchstens als hübsch bezeichnet, doch die markanten Züge, die seine Männlichkeit beisteuerte, machten es schön.
Diesmal war es Brunetti, der einen kleinen Schritt zurücktrat. Er hörte, wie der im Pullover verächtlich schnaubte, und drehte sich nach der Mappe um, die er auf den Tisch neben sich gelegt hatte.
»Signor Crespo, ich möchte Sie bitten, sich ein Bild anzusehen und mir zu sagen, ob Sie den Mann darauf kennen.«
»Ich sehe mir gern alles an, was Sie mir zeigen«, sagte Crespo mit Betonung auf dem »Sie«, wobei er mit der Hand unter seinen Hemdkragen fuhr, um sich über den Nacken zu streichen.
Brunetti schlug die Mappe auf und reichte Crespo das Bild, das der Zeichner von dem Toten gemacht hatte. Crespo blickte kaum eine Sekunde darauf, dann sah er Brunetti an, lächelte und meinte: »Keine Ahnung, wer das sein könnte.« Er hielt Brunetti das Bild hin, aber der nahm es nicht entgegen.
»Ich möchte, daß Sie es sich genauer ansehen, Signor Crespo.«
»Er hat doch gesagt, daß er ihn nicht kennt«, blaffte der Bullige aus dem Hintergrund.
Brunetti beachtete ihn nicht. »Der Mann ist zu Tode geprügelt worden, und wir müssen herausfinden, wer er war. Ich wäre Ihnen also dankbar, wenn Sie noch einmal genauer hinsehen würden, Signor Crespo.«
Crespo schloß einen Moment die Augen und strich sich eine widerspenstige Locke hinters linke Ohr. »Wenn Sie darauf bestehen«, meinte er und schaute wieder auf das Bild. Diesmal senkte er den Kopf und betrachtete das abgebildete Gesicht eingehend. Brunetti konnte seine Augen nicht sehen, aber er beobachtete, wie seine Hand plötzlich vom Ohr zum Hals wanderte, diesmal ganz ohne Koketterie.
Einen Moment später blickte er zu Brunetti auf, lächelte gewinnend und sagte: »Ich habe ihn noch nie gesehen, Commissario.«
»Zufrieden?« fragte der andere und machte einen Schritt in Richtung Tür.
Brunetti nahm die Zeichnung, die Crespo ihm hinhielt, und legte sie wieder in die Mappe. »Das ist nur die Vorstellung, die der Zeichner sich vom Aussehen des Mannes gemacht hat, Signor Crespo. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich
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