Brunetti 03 - Venezianische Scharade
gegenüber, der an ihrem Bein lehnte. Der Name neben der ersten Klingel fiel ihm ein, und so antwortete er im selben Dialekt: »Ja. Ich wollte zu den Mortonis. Ihr Versicherungsbeitrag ist fällig, und ich dachte, ich komme mal vorbei und frage, ob sie bei der Gelegenheit vielleicht die Versicherungssumme erhöhen wollen.«
»Die Mortonis sind nicht da«, sagte die Frau, wobei sie in einer riesigen Handtasche nach ihrem Schlüsselbund kramte. »Sind in die Berge gefahren. Ebenso die Gasparis, nur daß die in Jesolo sind.« Sie hatte es aufgegeben, ihre Schlüssel ertasten oder erspähen zu wollen, und versuchte nun, sie mit dem Gehör zu orten, es klappte, und sie zog ein Bund heraus, das so groß war wie ihre Hand.
»Darauf läuft alles hinaus«, sagte sie und hielt Brunetti die Schlüssel unter die Nase. »Sie haben mir ihre Schlüssel dagelassen, und ich gieße ihre Blumen und passe auf, daß hier nicht alles zusammenbricht.« Sie hob den Kopf und sah Brunetti an. Ihre Augen waren zu einem hellen Blau verblaßt und standen in einem runden, von einem Netzwerk feiner Linien durchzogenen Gesicht. »Haben Sie Kinder, Signore?«
»Ja«, antwortete er, ohne zu überlegen.
»Namen und Alter?«
»Raffaele ist sechzehn und Chiara dreizehn, Signora.«
»Gut«, meinte sie, als hätte er eine Art Test bestanden. »Sie sind ein kräftiger junger Mann. Glauben Sie, daß Sie mir den Einkaufswagen in den dritten Stock tragen können? Sonst muß ich mindestens dreimal laufen, um alles hochzubringen. Mein Sohn kommt morgen mit seiner Familie zum Mittagessen, da mußte ich ziemlich viel einkaufen.«
»Natürlich, ich helfe Ihnen gern, Signora«, sagte er und bückte sich gleichzeitig nach dem Wagen, der bestimmt fünfzehn Kilo wog. »Ist es eine große Familie?«
»Mein Sohn und seine Frau und die Kinder. Zwei bringen die Urenkel mit, dann sind wir, lassen Sie mich mal rechnen, dann sind wir zehn.«
Sie schloß die Tür auf und hielt sie, während Brunetti mit dem Wagen an ihr vorbeiging. Sie drückte auf den Lichtschalter und stieg vor ihm die Treppe hinauf. »Sie glauben gar nicht, was die mir für die Pfirsiche abgenommen haben. Mitte August, und immer noch dreitausend Lire das Kilo. Aber ich habe sie trotzdem gekauft. Marco schneidet sich gern vor dem Essen einen in Rotwein und ißt ihn dann zum Nachtisch. Und Fisch. Ich wollte ja eigentlich rombo haben, aber der war mir zu teuer. Einen guten gedünsteten bosega mögen ja auch alle, so habe ich den genommen, trotzdem hat der Fischmann mir noch zehntausend Lire fürs Kilo abgeknöpft. Drei Fische, und ich bin fast vierzigtausend Lire los.« Sie blieb auf dem ersten Treppenabsatz stehen und schaute zu Brunetti herunter. »Als ich ein kleines Mädchen war, haben wir bosega unserer Katze gegeben, und jetzt zahle ich zehntausend Lire fürs Kilo.«
Sie drehte sich um und nahm die nächste Treppe in Angriff. »Sie tragen ihn doch an den Griffen, oder?«
»Ja, Signora.«
»Gut. Ich habe nämlich obenauf ein Kilo Feigen gelegt, und die sollen nicht zerdrückt werden.«
»Nein, sie sind noch heil, Signora.«
»Ich war in der Casa del Parmigiano und habe prosciutto zu den Feigen gekauft. Ich kenne Giuliano, seit er ein Junge war. Er hat den besten Schinken in ganz Venedig, finden Sie nicht?«
»Meine Frau kauft auch immer da, Signora.«
»Kostet ein Vermögen, aber die Ware ist den Preis wert, meinen Sie nicht auch?«
»Ja, Signora.«
Dann waren sie oben. Den Schlüsselbund hatte sie noch in der Hand, so daß sie nicht wieder danach suchen mußte. Sie schloß auf, gab der Tür einen Stoß und ließ Brunetti an sich vorbei in die große Wohnung, die zum Campo hin vier hohe Fenster hatte - jetzt geschlossen und durch die zugezogenen Läden verdunkelt.
Sie ging voraus in den Wohnraum, ein Zimmer, wie es Brunetti aus seiner Jugend vertraut war: dicke Sessel und ein Sofa mit Roßhaarfüllung, die piekte, wenn man darauf saß; massive, dunkelbraune Kredenzen, auf deren Abstellflächen silberne Bonbondosen und Fotos in silbernen Rahmen standen; ein venezianischer Terrazzoboden, der sogar in dem schwachen Licht glänzte. Er hätte im Haus seiner Großeltern sein können.
In der Küche war es dasselbe. Der Ausguß war aus Stein, und in einer Ecke war ein riesiger, zylindrischer Boiler angebracht. Der Küchentisch hatte eine Marmorplatte, und er sah die Signora vor sich, wie sie darauf Pasta ausrollte oder bügelte.
»Stellen Sie's einfach da hin, bei der Tür«, sagte sie.
Weitere Kostenlose Bücher