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Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Brunetti 03 - Venezianische Scharade

Titel: Brunetti 03 - Venezianische Scharade Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Bissa hinunter. Kein Mann in dunklem Anzug. Er rannte quer über den Campo bis zur ersten Calle, die dort abging, sah den Mann aber nicht. Es gab mindestens noch fünf Calli, die vom Campo wegführten, und Brunetti war klar, daß der Mann längst fort sein würde, bevor er alle überprüfen konnte. Er beschloß, zur Anlegestelle Rialto zu gehen, vielleicht wollte der Mann ja ein Boot nehmen. Er schlängelte sich zwischen den Leuten hindurch, schubste andere aus dem Weg, rannte bis ans Wasser und dann zum embarcadero des zweiundachtziger Bootes. Als er ankam, legte das Boot in Richtung San Marcuola und Bahnhof gerade ab.
    Er drängte sich durch eine schnatternde Schar japanischer Touristen, bis er am Canal Grande stand. Das Boot fuhr an ihm vorbei, und er ließ seinen Blick über die Passagiere an Deck und in der Kabine wandern. Es waren viele Leute auf dem Boot, die meisten in Freizeitkleidung. Endlich sah Brunetti auf der anderen Deckseite einen Mann in dunklem Anzug und weißem Hemd. Er zündete sich gerade eine Zigarette an und wandte sich ab, um das Streichholz ins Wasser zu werfen. Brunetti glaubte, den Hinterkopf zu erkennen, aber sicher konnte er nicht sein. Als der Mann sich wieder umdrehte, versuchte Brunetti, sich sein Profil einzuprägen. Dann glitt das Boot unter die Rialtobrücke, und der Mann war seinen Blicken entzogen.

14
    B runetti tat, was jeder vernünftige Mann tut, nachdem er eine Niederlage hatte einstecken müssen - er ging nach Hause und rief seine Frau an. Als man ihn mit Paolas Zimmer verbunden hatte, war Chiara am Apparat.
    »Oh, ciao papà, du hättest mitfahren sollen. Stell dir vor, wir sind kurz vor Vicenza steckengeblieben und mußten fast zwei Stunden warten. Niemand wußte, was passiert war, aber dann hat der Schaffner uns erzählt, daß sich zwischen Vicenza und Verona eine Frau vor einen Zug geworfen hat, deshalb mußten wir so lange warten. Wahrscheinlich haben sie erstmal alles saubermachen müssen, oder? Als wir wieder losfahren durften, habe ich die ganze Zeit aus dem Fenster geschaut, bis Verona, aber ich habe nichts gesehen. Meinst du, die haben das so schnell weggewischt?«
    »Ich nehme es an, cara. Ist deine Mutter da?«
    »Ja, sie ist da, papà. Aber vielleicht habe ich ja auf der falschen Seite aus dem Fenster geschaut, und der ganze Matsch war auf der anderen Seite vom Zug. Könnte es das gewesen sein?«
    »Kann sein, Chiara. Läßt du mich jetzt mit mamma sprechen?«
    »Klar, papà. Sie sitzt hier neben mir. Was glaubst du, warum jemand so etwas tut, sich vor einen Zug werfen?«
    »Wahrscheinlich, weil sie nicht mit dem Menschen reden durfte, mit dem sie reden wollte, Chiara.«
    »Ach, papà, du sagst immer so komische Sachen. Hier ist sie.«
    Komisch? Komisch? Er fand, er war ganz ernst gewesen.
    »Ciao, Guido«, sagte Paola. »Hast du das eben gehört? Unsere Tochter hat eine makabre Ader.«
    »Wann seid ihr denn angekommen?«
    »Vor einer guten halben Stunde. Wir mußten im Zug essen. Grauenhaft. Was hast du so gemacht? Hast du die insalata di calamari gefunden?«
    »Nein, ich bin eben erst gekommen.«
    »Mestre? Hast du zu Mittag gegessen?«
    »Nein, ich mußte etwas erledigen.«
    »Also, der Salat ist im Kühlschrank. Iß ihn heute oder morgen, viel länger hält er sich bei dieser Hitze nicht.« Er hörte Chiaras Stimme im Hintergrund, dann fragte Paola: »Kommst du morgen?«
    »Nein, ich kann nicht. Die Leiche ist identifiziert.«
    »Wer ist es?«
    »Mascari, Leonardo. Er ist Direktor der Banca di Verona hier. Kennst du ihn?«
    »Nein, nie gehört. Ist er Venezianer?«
    »Ich glaube, ja. Seine Frau jedenfalls.«
    Wieder hörte er Chiara mit ihrer Mutter sprechen. Es dauerte eine Ewigkeit. Dann war Paola wieder da. »Tut mir leid, Guido. Chiara will Spazierengehen und konnte ihren Pullover nicht finden.« Schon bei dem Wort Pullover spürte Brunetti die brütende Hitze in der Wohnung doppelt, obwohl alle Fenster offenstanden.
    »Paola, hast du Padovanis Telefonnummer? Ich habe hier im Telefonbuch gesucht, aber er steht nicht drin.« Er wußte, daß sie nicht fragen würde, warum er die Nummer haben wollte, darum erklärte er: »Er ist mir als einziger eingefallen, von dem ich etwas über die hiesige Schwulenszene erfahren könnte.«
    »Er ist seit Jahren in Rom, Guido.«
    »Ich weiß, ich weiß, Paola, aber er kommt doch alle paar Monate her, um über Kunstausstellungen zu schreiben, außerdem lebt seine Familie noch hier.«
    »Na ja, kann sein«, meinte sie,

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