Brunetti 03 - Venezianische Scharade
anbieten, Signora? Ein Glas Wasser vielleicht, oder einen Tee?«
»Nein. Nichts. Erzählen Sie mir, was vorgefallen ist.«
Gallo nahm leise hinter seinem Schreibtisch Platz; Brunetti setzte sich in die Nähe von Signora Mascari.
»Die Leiche Ihres Mannes wurde am Montagmorgen in Mestre gefunden. Wenn Sie mit den Leuten im Krankenhaus gesprochen haben, wissen Sie, daß die Todesursache ein Schlag auf den Kopf war.«
Sie unterbrach ihn: »Es waren auch Schläge ins Gesicht.« Nach diesen Worten wandte sie den Blick ab und sah starr auf ihre Hände.
»Kennen Sie irgendwen, der Ihrem Mann übelwollte, Signora? Fällt Ihnen jemand ein, der ihn schon einmal bedroht hat oder mit dem er eine ernste Auseinandersetzung hatte?«
Sie schüttelte ohne Zögern energisch den Kopf. »Leonardo hatte keine Feinde«, sagte sie.
Nach Brunettis Erfahrung wurde man nicht Direktor einer Bank, ohne sich Feinde zu machen, aber das behielt er für sich.
»Hat Ihr Mann je von Problemen im Zusammenhang mit seiner Arbeit gesprochen? Eine Kündigung, die er aussprechen mußte vielleicht? Oder ein Kreditantrag, dem er nicht stattgeben konnte und wofür der Antragsteller ihn dann persönlich verantwortlich gemacht hat?«
Wieder schüttelte sie den Kopf. »Nein, nichts dergleichen. Es hat nie irgendwelche Probleme gegeben.«
»Und in der Familie, Signora? Hat Ihr Mann irgendwann einmal Schwierigkeiten mit einem Familienmitglied gehabt?«
»Was soll das?« wollte sie wissen. »Warum stellen Sie mir diese Fragen?«
»Signora«, begann Brunetti beschwichtigend, »die Art und Weise, wie Ihr Mann umgebracht wurde, allein die Brutalität der Tat läßt darauf schließen, daß der Täter Grund hatte. Ihren Mann zu hassen, darum müssen wir uns, bevor wir anfangen können, nach dieser Person zu suchen, einen Eindruck verschaffen, was der Auslöser gewesen sein könnte. Es ist also notwendig, diese Fragen zu stellen, auch wenn sie, wie ich sehr wohl weiß, qualvoll sind.«
»Aber ich kann Ihnen nichts sagen. Leonardo hatte keine Feinde.« Nachdem sie das wiederholt hatte, blickte sie zu Gallo hinüber, als wollte sie ihn bitten, ihre Aussage zu bestätigen oder ihr zu helfen, Brunetti zu überzeugen, daß er ihr glauben müsse.
»Als Ihr Mann am letzten Samstag das Haus verlassen hat, war er auf dem Weg nach Messina?« fragte Brunetti. Sie nickte. »Waren Sie über den Zweck seiner Reise informiert, Signora?«
»Er sagte, es sei eine Geschäftsreise und er käme am Freitag, also gestern, zurück.«
»Aber Genaueres hat er Ihnen nicht erzählt?«
»Nein, das tat er nie. Er sagte immer, seine Arbeit sei nicht so interessant, und hat selten mit mir darüber gesprochen.«
»Haben Sie noch etwas von ihm gehört, nachdem er fort war, Signora?«
»Nein. Er ist am Samstagnachmittag zum Flughafen gefahren. Er hatte einen Flug nach Rom, wo er umsteigen mußte.«
»Hat Ihr Mann Sie danach angerufen, Signora? Aus Rom oder aus Messina?«
»Nein, aber das hat er nie getan. Wenn er auf Geschäftsreise ging, fuhr er dahin, wo er hinmußte, und kam danach wieder nach Hause, oder er hat mich aus seinem Büro in der Bank angerufen, wenn er nach seiner Rückkehr direkt dorthin ging.«
»Und das war normal, Signora?«
»Was meinen Sie mit normal?«
»Daß er auf Geschäftsreise ging und sich nicht bei Ihnen meldete.«
»Ich habe es Ihnen doch eben schon gesagt«, erklärte sie etwas ungeduldig. »Er ist gelegentlich für die Bank verreist, sechs- oder siebenmal im Jahr vielleicht. Manchmal hat er mir eine Postkarte geschickt oder mir etwas mitgebracht, aber angerufen hat er nie.«
»Wann haben Sie angefangen, sich Sorgen zu machen, Signora?«
»Gestern abend. Ich dachte, er sei nach seiner Rückkehr am Nachmittag vielleicht in die Bank gegangen und werde dann nach Hause kommen. Als er um sieben noch nicht da war, habe ich in der Bank angerufen, aber sie hatten schon geschlossen. Daraufhin habe ich es bei zwei seiner Kollegen versucht, aber sie waren beide nicht zu Hause.« Hier hielt sie inne, holte tief Luft und fuhr dann fort:
»Ich habe mir gesagt, daß ich mich vielleicht im Tag geirrt hätte oder in der Zeit, aber heute morgen konnte ich mir nichts mehr vormachen. Ich habe einen Angestellten der Bank angerufen, der dann mit einem Kollegen in Messina gesprochen und mich anschließend zurückgerufen hat.«
Hier hörte sie auf zu sprechen.
»Was hat er Ihnen gesagt, Signora?« fragte Brunetti leise.
Sie hielt sich den Handrücken an den Mund,
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