Brunetti 03 - Venezianische Scharade
vielleicht in der Hoffnung, die Worte zurückhalten zu können, aber sie hatte den Leichnam in der Leichenhalle gesehen, darum nützte es nichts. »Er hat mir gesagt, daß Leonardo gar nicht in Messina war. Da habe ich bei der Polizei angerufen. Bei Ihnen angerufen. Man hat mir gesagt... als ich eine Beschreibung meines Mannes gegeben habe... sagte man mir, ich soll hierher fahren. Das habe ich getan.« Ihre Stimme war immer brüchiger geworden, während sie das alles erklärte, und als sie fertig war, lagen ihre Hände zusammengekrampft in ihrem Schoß.
»Signora, sind Sie ganz sicher, daß es niemanden gibt, den Sie anrufen möchten oder den wir für Sie anrufen könnten, damit er herkommt und bei Ihnen bleibt? Vielleicht sollten Sie jetzt besser nicht allein sein«, sagte Brunetti.
»Nein. Nein, ich will niemanden sehen.« Sie stand abrupt auf. »Ich muß nicht hierbleiben, oder? Ich kann doch gehen?«
»Aber natürlich, Signora. Es war schon mehr als freundlich, daß Sie bereit waren, uns diese Fragen zu beantworten.«
Sie ging nicht darauf ein.
Brunetti gab Gallo ein Zeichen, während er aufstand und Signora Mascari zur Tür folgte. »Wir lassen Sie nach Venedig zurückfahren, Signora.«
»Ich will nicht, daß mich jemand in einem Streifenwagen ankommen sieht«, versetzte sie.
»Es ist ein neutraler Wagen, Signora, und der Fahrer trägt keine Uniform.«
Sie erwiderte nichts darauf, und da sie nichts sagte, hieß das wahrscheinlich, daß sie einverstanden war, zum Piazzale Roma gebracht zu werden.
Brunetti öffnete die Tür und geleitete sie zur Treppe am Ende des Korridors. Er sah, daß sie mit der rechten Hand fest ihre Handtasche umklammert hielt, während sie die linke buchstäblich in die Tasche ihrer Kostümjacke gerammt hatte.
Brunetti begleitete sie bis vor die Tür der Questura, hinaus in die Hitze, die er ganz vergessen hatte. Eine dunkelblaue Limousine wartete mit laufendem Motor am Fuß der Treppe. Brunetti hielt Signora Mascari die Wagentür auf und stützte ihren Arm, als sie einstieg. Kaum hatte sie Platz genommen, wandte sie sich ab und blickte aus dem gegenüberliegenden Fenster, obwohl dort nur der Verkehr und die tristen Fassaden von Bürohäusern zu sehen waren. Brunetti drückte sanft die Tür zu und wies den Fahrer an, Signora Mascari zum Piazzale Roma zurückzufahren.
Als der Wagen sich in den fließenden Verkehr eingereiht hatte, ging Brunetti in Gallos Büro zurück. »Na, was hatten Sie für einen Eindruck?«
»Ich glaube nicht, daß es Menschen gibt, die keine Feinde haben.«
»Ganz besonders nicht Banker Mitte vierzig«, fügte Brunetti hinzu.
»Und nun?« fragte Gallo.
»Ich fahre nach Venedig und sehe, ob ich von meinen Leuten dort etwas erfahren kann. Wir haben jetzt einen Namen und wissen damit wenigstens, wo wir anfangen können zu suchen.«
»Wonach?« fragte Gallo.
Brunettis Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Zuerst müssen wir das tun, was wir gleich hätten tun müssen, nämlich herausfinden, woher die Kleidung und die Schuhe stammen.«
Gallo verstand das als Rüge und antwortete ebenso schnell. »Über das Kleid gibt es noch nichts, aber dafür haben wir den Hersteller der Schuhe, und heute nachmittag bekomme ich wahrscheinlich eine Liste der Geschäfte, in denen sie verkauft wurden.«
Brunetti hatte seine Bemerkung nicht als Kritik an Mestre gemeint, aber er beließ es dabei. Es konnte nicht schaden, Gallo und seine Leute etwas anzustacheln, damit sie möglichst schnell in Erfahrung brachten, woher die Kleidung stammte, denn diese Schuhe und das Kleid waren sicher nicht gerade das, was ein Banker mittleren Alters ins Büro anziehen würde.
13
F alls Brunetti geglaubt hatte, an einem Samstagmorgen im August jemanden bei der Arbeit zu finden, so kannte er die Mitarbeiter der Questura schlecht; an der Tür standen zwar Wachen, und auf der Treppe begegnete er immerhin einer Putzfrau, aber die Büros waren leer, und er wußte, daß jede Hoffnung, vor Montag etwas erledigt zu bekommen, vergeblich war. Er spielte kurz mit dem Gedanken, sich in einen Zug nach Bozen zu setzen, aber dann wurde ihm klar, daß er erst nach dem Abendessen dort eintreffen würde, und ebenso war ihm klar, daß er den ganzen morgigen Tag nur im Sinn haben würde, möglichst schnell wieder in die Stadt zurückzukommen.
Er ging in sein Büro und riß die Fenster auf, obwohl er wußte, daß er damit nichts verbesserte. Es wurde drückender im Zimmer, vielleicht sogar noch etwas
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