Brunetti 03 - Venezianische Scharade
Padovani ging zu seinem Stuhl zurück, die Flasche nahm er mit.
Brunetti probierte. Nicht Birne, Göttertrank.
»Zu schwach«, sagte Brunetti.
»Der Grappa?« fragte Padovani, ehrlich verdutzt.
»Nein, nein. Die Verbindung zwischen Crespo und Santomauro. Wenn Santomauro kleine Jungen mag, könnte Crespo tatsächlich nur sein Klient sein und nichts weiter.«
»Durchaus möglich«, sagte Padovani, aber in einem Ton, der erkennen ließ, daß er das nicht glaubte.
»Kennst du jemanden, der dir mehr Informationen über den einen oder den anderen geben könnte?« wollte Brunetti wissen.
»Santomauro und Crespo?«
»Ja. Und Leonardo Mascari auch, wenn es eine Verbindung zwischen ihnen gibt.«
Padovani sah auf die Uhr. »Es ist zu spät, um die Leute, die ich kenne, noch anzurufen.« Brunetti warf einen Blick auf seine eigene Armbanduhr und stellte fest, daß es erst Viertel nach zehn war. Nonnen?
Padovani hatte den Blick gesehen und lachte. »Nein, Guido, sie sind alle ausgeflogen, für den Abend oder die Nacht. Aber ich telefoniere morgen von Rom aus und sehe mal, was sie wissen oder in Erfahrung bringen können.«
»Es wäre mir lieb, wenn keiner der Männer erführe, daß Fragen über ihn gestellt werden.« Das war höflich, aber es klang steif und unbeholfen.
»Guido, es wird so zartgesponnen wie Marienfäden sein. Jeder, der Santomauro kennt, wird mit Vergnügen weitergeben, was immer er über ihn weiß oder gehört hat, und du kannst ebenso sicher sein, daß ihm nichts davon zu Ohren kommt. Schon der Gedanke, daß er in etwas Unschönes verstrickt sein könnte, wird denen, an die ich denke, ein Quell prickelnden Entzückens sein.«
»Das ist es ja gerade, Damiano. Ich will kein Gerede, ganz besonders nicht darüber, daß er in irgend etwas verstrickt sein könnte, und schon gar nicht in etwas Unschönes.« Brunetti wußte, daß seine Worte sehr ernst klangen, darum lächelte er und hielt Padovani sein Glas hin, damit er ihm noch einen Grappa einschenken konnte.
Der Geck machte dem Journalisten Platz. »Schon gut, Guido. Ich werde keinen Unfug damit treiben, und vielleicht rufe ich auch andere Leute an, aber bis Dienstag oder Mittwoch müßte ich eigentlich einiges an Informationen über ihn zusammenhaben.« Padovani goß sich ebenfalls einen zweiten Grappa ein und nippte daran. »Du solltest dir diese Lega genauer ansehen, Guido, wenigstens die Mitgliederliste.«
»Du machst dir ernsthaft Gedanken darüber, stimmt's?« fragte Brunetti.
»Ich mache mir Gedanken um jede Gruppierung, die sich in irgendeiner Weise anderen überlegen dünkt.«
»Die Polizei?« fragte Brunetti lächelnd, um die Stimmung des anderen aufzuhellen.
»Nein, die Polizei nicht, Guido. Niemand glaubt an deren Überlegenheit, und ich habe den Verdacht, daß es von deinen Kollegen auch keiner glaubt.« Er trank aus, goß sich aber nichts mehr ein. Statt dessen stellte er sein Glas und die Flasche neben seinen Stuhl auf den Fußboden. »Ich muß immer an Savonarola denken«, sagte er. »Er fing damit an, daß er die Dinge verbessern wollte, aber als einzige Methode fiel ihm dazu ein, alles zu zerstören, womit er nicht einverstanden war. Am Ende sind alle Eiferer wie er, sogar die ecologisti und die femministi. Zuerst wollen sie eine bessere Welt, aber am Ende glauben sie, ihr Ziel nur dadurch erreichen zu können, daß sie alles aus dieser Welt tilgen, was zu ihrer Vorstellung von der Welt nicht paßt. Sie werden alle auf dem Scheiterhaufen enden, wie Savonarola.«
»Und was dann?« fragte Brunetti.
»Ach, ich nehme an, wir anderen werden uns irgendwie durchwursteln.«
Ein besonderer Trost war das nicht, aber Brunetti nahm es als eine ausreichend optimistische Note, um den Abend damit zu beenden. Er stand auf, sagte seinem Gastgeber die angemessenen Nettigkeiten und ging nach Hause in sein einsames Bett.
15
E in weiterer Grund, weshalb Brunetti gezögert hatte, in die Berge zu fahren, war der, daß diesen Sonntag die Reihe an ihm war, seine Mutter zu besuchen; er und sein Bruder Sergio wechselten sich dabei ab, bisweilen vertrat auch einer den anderen. Aber an diesem Wochenende war Sergio mit seiner Familie auf Sardinien, so daß Brunetti dran war. In Wahrheit hätte es keinen Unterschied gemacht, wenn sie ihren Besuch einmal hätten ausfallen lassen, aber das taten sie nie. Da ihre Mutter etwa zehn Kilometer von Venedig entfernt, in Mira, untergebracht war, mußte Brunetti mit dem Bus fahren und dann ein Taxi nehmen oder einen
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